Älter werden, Neues wagen
Zwölf Porträts von Ulrike Herrmann und Martina Wittneben
Der ältere Herr auf dem Sprungturm kneift die Augen zusammen. Er scheint die Entfernung abzuschätzen, sich auf den nächsten, wohlüberlegten Schritt vorzubereiten. Sein ganzer Körper ist gespannt, für den Absprung bereit. Hinter ihm leuchtet der blaue Himmel. Grenzenlose Möglichkeiten. Er federt leicht in den Knien – und springt. Mit dem Absprung lässt er sich auf etwas Neues ein. Wie der Herr auf dem Cover des neu erschienen Bandes „Älter werden, Neues wagen“, haben zwölf Seniorinnen und Senioren im Alter einen Neuanfang gemacht. Die Journalistinnen Ulrike Herrmann und Martina Wittneben haben sie für dieses Buch portraitiert. Ihnen sind beeindruckende und Mut machende Geschichten gelungen, die die Vorfreude auf die nächste Sammlung von Portraits wachsen lassen. Wer glaubt, dass heute mit dem Renteneintritt alles vorbei sei, der irrt. Im letzten Drittel des Lebens sind die Menschen heute agil und motiviert wie nie zuvor. Sie wollen weiterhin ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Leben leisten, doch vom Arbeitsmarkt werden schon über Fünfzigjährige häufig „aussortiert“ – man ist sich ihres Potentials und Erfahrungsvorsprungs selten bewusst oder möchte junge, noch formbare Auszubildende.
*Models über 40*
Nichtsdestotrotz bringen sich immer mehr ältere Menschen aktiv ein. Christa Höhs, zum Beispiel, die eine Agentur für Models über 40 Jahren gegründet hat, weil sie den Jugendwahn in den Medien und vor allem in der Werbung durchbrechen will. Oder Krista Lange, die frühere Leistungsturnerin, die mit Anfang 60 begonnen hat, in der Compagnie für Pina Bausch zu tanzen. Auch ehrenamtliches Engagement wird groß geschrieben: Peter Spielmann, früher knallharter Geschäftsmann auf der Jagd nach immer mehr und mehr Geld kümmert sich heute um pflegebedürftige Menschen in einem jüdisch-christlichen Pflegeheim und begleitet sie auf ihrem letzten Weg. Und Hans-Peter Dentler, ebenfalls ehemaliger Unternehmer, organisiert heute Hilfsmittel für Behinderte in Ländern der Dritten Welt. Die teils kaputten Krücken, Roll- oder Toilettenstühle repariert er vor Ort mit einer Crew Ehrenamtlicher und verschifft dann die einsatzfähigen Teile an ihren Bestimmungsort, an dem er sie selbst überreicht. Alle dreizehn portraitierten Seniorinnen und Senioren haben noch im Alter Großes geleistet und blicken auf ein langes und erfülltes Leben zurück. Ihr Alter hat ihnen die Möglichkeit gegeben, ihr Leben zu überdenken, neue Akzente zu setzen und, befreit vom Leistungsdruck der Gesellschaft und familiären Verpflichtungen, etwas ganz Neues zu beginnen. „Älter werden, Neues wagen“ ist ein Buch, das Mut macht in Anbetracht des demografischen Wandels und dem viel zitierten Generationenkonflikt. Es setzt ein Zeichen für ehrenamtliches Engagement. Und ruft dazu auf, Vertrauen zu haben. „Unsere Alten“ können mehr, als viele es ihnen zutrauen. Lesenswert keineswegs nur für Senioren, sondern auch und gerade für junge Menschen – denn sie wissen oft nicht, welche Potentiale in ihren Eltern und Großeltern stecken! Der ältere Herr auf dem Cover scheint mir zuzuzwinkern. Wenn er gesprungen ist, wird er ins Wasser eintauchen und schwimmen. Frischt wie ein Fisch im Wasser. Im Wasser des Lebens.
Autorin / Autor: firstmary - Stand: 25. März 2008