Über so ziemlich jedes gesellschaftliche Problem existiert mittlerweile haufenweise Jugendliteratur, doch mit „Asphalt Tribe“ hatte ich mal etwas für mich relativ Neues in der Hand: Ein Buch über Straßenkinder. Morton Rhue bringt mit Hilfe seines Romans die Situation der Straßenkinder in New York anschaulich herüber. Er erzählt die Geschichte von Rainbow, Maggot, 2Moro, Jewel, OG, Tears und Maybe; er beschreibt deren Leben auf der Straße und die Probleme, die dieses mit sich bringt. Probleme wie Geldmangel, Kälte, Hunger, Abhängigkeit von Drogen, Schlägereien - und die Konsequenz aus diesen Problemen: Den Tod. Denn bis die Geschichte ihr Happy End findet – sofern man das so nennen kann -, passiert so Einiges, und der Autor berichtet schonungslos. Er bringt einem die verschiedenen Motive der Personen in seinem Buch nahe, auf der Straße zu leben, und er gibt mit dem Schicksal jeder Person ein Beispiel für viele reale Schicksale, die man normalerweise oft gar nicht wahr nimmt. Denn obwohl das Buch in Amerika spielt, bedeutet das nicht, dass das Problem nicht auch hier existiert. Ein Vorwort von Doris Schröder-Köpf sowie ein Nachwort der Hilfsorganisation „Off-Road-Kids“ informiert über die Situation der Straßenkinder in Deutschland. Positiver Nebeneffekt: Mit dem Kauf von „Asphalt Tribe“ unterstützt man die „Off-Road-Kids“. Ich selbst wurde durch die Lektüre des Buches zum ersten Mal auf dieses Problem aufmerksam; es hat mich zum Nachdenken gebracht und ich habe gemerkt, dass ich seitdem anders auf obdachlose Menschen reagiere, denen ich zum Beispiel in größeren Städten begegne – seien es Kinder oder Erwachsene. Mich berührt ihr Anblick mehr, und ich gehe nicht mehr ganz so unbeteiligt an ihnen vorbei.
*Nur der Wunsch nach einem Leben ohne Regeln?*
Allerdings muss ich sagen, dass das Buch einerseits wirklich schonungslos und realistisch über das tägliche Leben von Straßenkindern berichtet, andererseits wird in meinen Augen zum Beispiel das angebliche Motiv von vielen, auf der Straße zu leben, maßlos beschönigt. Man stößt immer wieder auf die Aussage, die Kinder hätten sich für ein Leben auf der Straße entschieden, weil sie in Freiheit leben wollten. Aus demselben Grund lassen sich die Personen im Roman auch nicht von der Jugendhilfe helfen, die ihnen ein Dach über dem Kopf, ein Bett, Wärme und Essen zur Verfügung stellen würde. Mir erschien das einfach unrealistisch – dies alles aufzugeben bzw. nicht anzunehmen, um auf der Straße zu leben und zu sterben, statt sich wie bei der Jugendhilfe an ein paar simple, gutgemeinte Regeln wie Schlafenszeiten zu halten. Meiner Meinung nach muss zu so einem Schritt etwas mehr gehören als der Wunsch nach einem Leben ohne Regeln, ohne welche die Gesellschaft nun einmal nicht funktionieren würde. Genau so wie der im Roman beschriebene „Postkarten-Punk“, als der sich eine der Figuren entpuppt: Ein Straßenkind, das regelmäßig seinen es liebenden Eltern schreibt und das sich schließlich irgendwann von ihnen nach Hause holen lässt. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es Jugendliche gibt, die sich das Leben auf der Straße romantisch vorstellen und es auch „ausprobieren“, aber ich glaube einfach nicht, dass jemand, dessen Familie einen liebt und der in solch einem Luxus lebt wie der Junge im Buch, eine so lange Zeit auf der Straße verbringt und dort freiwillig so leidet, obwohl er jederzeit zurück nach Hause könnte. Also mein Fazit: Wie oben beschrieben gab es einige Stellen im Buch, die ich nicht ganz nachvollziehen konnte und die die Geschichte meiner Ansicht nach etwas unglaubwürdig erscheinen lassen. Andererseits wurde die Situation im Allgemeinen sehr anschaulich dargestellt und das Ziel des Romans, auf die Probleme aufmerksam zu machen, dürfte damit erreicht worden sein. Ich würde „Asphalt Tribe“ als „Einstiegsliteratur“ also durchaus empfehlen.