"Der Teufel hat gelbe Augen... und stinkt nach Fisch."
Dieser Meinung ist zumindest der Seemann Sebastiano, nach dem er Kaliban begegnet ist, der Hauptperson von Tad Williams’ Buch "Die Insel des Magiers". Dass er es nicht wirklich mit dem Teufel höchstpersönlich zu tun hatte, ist natürlich klar. Aber zumindest anfangs sieht es so aus, als wäre Kaliban der Böse der Geschichte. Dass er tief in der Nacht in das Zimmer von Miranda, der Königin von Neapel, eindringt, sie brutal zwingt, ihm zuzuhören und ihr dann noch den Tod für die selbe Nacht ankündigt – das hört sich nicht unbedingt nach einem sonderlich netten Kerl an. Doch dann beginnt er zu erzählen, und nach und nach versteht man, weshalb Kaliban er selbst ist und niemand anders, was ihn dazu gebracht hat, so zu handeln.
*Bekanntschaft mit Lüge und Falschheit*
Vor vielen Jahren wurden Miranda und ihr Vater Prospero auf eine Insel verbannt. Dort entdeckten sie Kaliban, den Sohn der Hexe Sycorax, der wild und fernab jeglicher Zivilisation auf der Insel aufgewachsen ist. Prospero beginnt, Kaliban zu zähmen, bringt ihm bei, wie man mit Worten umgeht, während Miranda und Kaliban so etwas wie Freunde werden. Auf diese Weise verbringt er die ersten glücklicheren Tage seid dem Tod seiner Mutter. Doch der Frieden ist trügerisch und das Glück nur von kurzer Dauer: Bald wandelt sich Prosperos anfängliche Freundlichkeit, Kaliban macht Bekanntschaft mit Lüge und Falschheit, mehr und mehr beginnt Prospero, ihn auszunutzen – für ihn bleibt er immer der "kleine Wilde", mehr Tier als Mensch. Und das lässt er ihn auch spüren. Als Kaliban sich in Miranda verliebt, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Situation eskaliert. Schließlich gelingt es Prospero, sein Ansehen wiederherzustellen, und sie verlassen die Insel – zurück bleibt Kaliban, geschunden und gedemütigt. Doch jetzt, fünfundzwanzig Jahre später, kommt Kaliban nach Mailand, um sich an Miranda zu rächen...
*Flüssig, einfühlsam, fantasievoll...*
Das Buch fängt spannend an und bleibt es auch bis hin zu dem ziemlich überraschenden Ende. So gut erzählt, wie die Handlung wird, ist das aber auch kein Wunder. Flüssig, einfühlsam, fantasievoll... Schon nach den ersten paar Seiten wird man regelrecht ‚eingesogen’ in die tragische Geschichte des geheimnisvollen Kaliban, und auch nach dem Lesen hat mich das Buch eine Weile nicht losgelassen. Wenn man nahezu Kalibans ganzes Leben mit ihm durchlitten hat, sich mit ihm bei der Entdeckung eines verborgenen Tals gefreut hat, bei dem Tod seiner Mutter dabei war, beobachtet hat, wie er sich in Miranda verliebte, unter Prospero litt und von Ariel gequält wurde, der seltsamen Kreatur, die einst von Sycorax eingesperrt und von Prospero wieder befreit wurde – dann vergisst man ihn nicht so einfach wieder, irgendwie war er mir richtig ans Herz gewachsen. Es wird klar, Kaliban ist weder ein Tier, noch ein Ungeheuer und ganz sicher nicht der Teufel. Eigentlich ist er sogar wesentlich klüger als die meisten Menschen, durch die Jahre der Sklaverei hat er viele Erkenntnisse gewonnen, die anderen vermutlich immer verborgen bleiben werden.
*Auf den Punkt gebracht: Lesenswert!*
Ein Grund mehr, sich am Ende ein bisschen für ihn zu freuen und zu hoffen, dass vielleicht zumindest ein Teil der Schuld gesühnt werden könnte. Wie man sehen kann, artet meine Besprechung in eine Lobshymne aus, was eigentlich nicht geplant war, aber meiner Meinung nach durchaus berechtigt ist. Um es auf den Punkt zu bringen: Ein phantastisches Märchen der besonderen Art, sehr empfehlens- und auf jeden Fall lesenswert.