Buch: "Codes" von Simon Singh
"Codes" ist ein Buch über Geheimnisse, Neugier, Politik, Intrigen, Geschichte, Mord und Mathematik.
Das klingt erstmal ziemlich verwirrend, ist es aber eigentlich nicht wirklich. Man muss nur erst mal verstanden haben: Es geht um Kryptologie.
Die Kryptologie ist ein Teilgebiet der Mathematik, welches sich mit dem Erfinden (Kryptographie) und anschließendem Umgehen (Kryptanalyse) von Verfahren beschäftigt, mit denen man den Inhalt von Nachrichten vor Uneingeweihten verbergen kann. "Codes" ist also ein Buch über Wissenschaft, schlimmer noch, über Mathematik. Trockene Formeln, Beweise, Herleitungen...? Nein, natürlich nicht.
In diesem Buch geht es um die Entwicklung der Kryptologie und vor allem um ihre Auswirkungen auf die Geschichte bis in die heutige Zeit. Und von diesen Auswirkungen wird man nach den wenigen einleitenden, - zugegebenermaßen etwas langweiligen - Seiten schnell gefangengenommen: Maria Stuart, eine schottische Königin, wurde im 16. Jahrhundert wegen eines Mordkoplotts gegen ihre Cousine, die Königin von England, angeklagt. Der einzige Beweis für ihre Schuld lag in abgefangenem Briefverkehr. Dieser Briefverkehr war zwar verschlüsselt, aber die Verschlüsselung konnte gebrochen werden - das Todesurteil für Maria Stuart. Und ähnlich spannend geht es weiter: Über die Entwicklung wesenlich stärkerer Verschlüsselungsverfahren ("polyalphabetische Chiffren"), die aber ebenfalls nach einiger Zeit geknackt wurden, bis in die Ära der mechanischen Chiffriermaschienen wird man immer wieder gefangengenommen von der unterhaltsamen und packenden Erzählweise Singhs.
Wie wurden die ägyptischen Hieroglyphen entziffert? Welchen Einfluss hatte die Kryptologie auf den 2. Weltkrieg? Auch auf diese und einige weitere Fragen finden sich Antworten.
Weiter geht es dann in unserer Zeit, der Ära der "asymmetrischen Verschlüsselung". Hier wird sehr detailliert und verständlich, aber für meinen Geschmack schon fast einen Tick zu wissenschaftlich, das RSA-Verfahren erklärt. Dies mag zwar für den einen oder anderen Leser interessant sein, passt jedoch nicht ganz in das Konzept eines ab 13 Jahren empfohlenen Jugendbuches. (Ich selbst habe die Grundlage dieses Verfahrens, die Modul-Arithmetik, erst während meines Studiums in der Vorlesung "Algebra II" verstanden.)
Eigentlich ist "Codes" ja auch kein "selbstständiges" Buch, sondern eine auf jüngere Leser zugeschnittene Variante von Singhs Buch "Geheime Botschaften", wie man aus dem Vorwort erfährt.
Ich hatte die Möglichkeit, mir "Geheime Botschaften" von einem Bekannten auszuleihen und war ueberrascht, welche Unterschiede ich zwischen diesem Buch und "Codes" fand. Beide Bücher unterscheiden sich vor allem durch ausgelassene Teile bei "Codes" - einzelne Abschnitte, einige Grafiken, einmal ein halbes Kapitel. An dieser Stelle war ich ehrlich gesagt enttäuscht. Eigentlich erwarte ich von einem sogenannten "Jugendbuch" eine Ausrichtung, ein Eingehen auf die Zielgruppe. Leicht verständliche Sprache, besonders plastische Ausdrucksweise... Bei "Codes" fand ich nichts von alledem. Die ausgelassenen Teile empfand ich eigentlich als größtenteils leichtverdauliche Kost, welche meistens detaillierter auf einen bestimmten Sachverhalt einging. Insbesondere das erwähnte halbe Kapitel wäre durchaus auch in "Codes" nicht fehl am Platze gewesen. In ihm geht es um die Entzifferung alter griechischer Schriften - interessant, unterhaltsam und sicher auch für jüngere Leser geeignet.
Es handelt sich also bei "Codes" einfach nur um eine gekürzte Ausgabe von "Geheime Botschaften". Insgesamt stellt sich dadurch bei mir ein sehr gemischtes Gefühl ein. Auf der einen Seite bietet "Codes" einen interessanten Einblick in die Geschichte der Kryptologie. Es ist ein Buch aus der Kategorie "erst weglegen, wenn durchgelesen" - wer einmal mit lesen anfängt, kommt einfach nicht mehr davon los. Es ist lehrreich und wissenschaftlich korrekt, ohne aber trocken und belehrend zu wirken. Eigentlich genau so, wie ein populärwissenschaftliches Werk sein sollte. Auf der anderen Seite musste ich feststellen, dass es ja sogar noch besser geht. Das Original "Geheime Botschaften" ist umfassender, detaillierter und dabei auch nicht schwerer zu lesen. Wer mit "Codes" klarkommt, wird vermutlich auch mit "Geheime Botschaften" keine Probleme bekommen.
Prinzipiell ist "Codes" unbedingt für alle empfehlenswert, die sich für Geschichte interessieren oder einen Einblick in die Bedeutung der Kryptologie haben wollen. Ausserdem bekommt man mit diesem Buch eine ordentliche Dosis Allgemeinbildung ab, und das quasi nebenbei, ohne sich dafür anstrengen zu müssen. Noch besser ist allerdings "Geheime Botschaften". Dieses Buch ist das ungekürzte Original, und dieses Buch kann ich aus voller Überzeugung empfehlen. Wem die 10 Euro Mehrpreis gegenüber "Codes" weh tun, der hat bei "Geheime Botschaften" sogar die Möglichkeit, auf die broschierte Ausgabe zurückzugreifen. Diese Ausgabe kostet bei einem grossen Versandhändler noch weniger als "Codes"...
Wenn dann eines dieser Bücher Appetit auf mehr gemacht hat, kann ich zum "Herumspielen" mit den verschiedenen Verfahren CrypTool empfehlen. Mit diesem Programm kann man fast alle im Buch vorgestellten Methoden der Verschlüsslung selbst ausprobieren, und auch Versuche starten, die Verschlüsslung zu brechen. CrypTool wird von der Deutschen Bank in Zusammenarbeit mit Secude und der Uni Karlsruhe entwickelt und ist kostenlos unter http://www.cryptool.de verfügbar.
Autorin / Autor:
pandora - Stand: 2. September 2002