Die französische Besatzungszone Berlins, 1947: In einem verlassenen Gebäude liegt ein Mädchen und stirbt an Typhus. Allouette ist die Tochter von Rita Moebius, einer Halbjüdin, die aus Nazideutschland über Frankreich nach Marrakkesch floh, um ihrem Vater zu entkommen, der seine jüdische Frau, ihre Stiefmutter Sidonie, ins KZ brachte. Nun ist Rita wieder in Deutschland und würde am liebsten gleich wieder abreisen, doch dann wird Allouette todkrank. Medikamente gibt es in der zerstörten Stadt keine, die Ärzte müssen mit Unsummen Schweizer Franken bezahlt werden. Und so kämpft Rita für ihre kleine Tochter, in dem sie selbst stark bleibt, und sich erinnert. Sie stellt sich der Vergangenheit, erlebt erneut ihre Ankunft in Marrakkesch als hochschwangere unverschleierte Weiße und die schicksalhafte Begegnung mit jenem Menschenhändler, der sie brutal verfolgt. Verzweifelt versuchen Haydee, ihre Tochter Aischa und der Sklave Jussuf sie davor zu bewahren, doch schließlich wird sie gefangen und als „Gefäß“ in einen Harem verkauft. Denn auch in Nordafrika, hat Hitlers Rassentheorie Anhang gefunden, und der erhoffte weiße, „reinrassige“ Sohn ist wertvoll. Doch das Baby wird ein Mädchen, was beide vor einer Trennung rettet. Sie fliehen zurück zu Haydee, und sind noch immer nicht sicher, denn Ritas Nazivater hat sie gefunden. Zur letzten Rettung wird die Flucht in die Berge, zu den Berbern, einem Schäfervolk. Sieben Jahre verbringen Mutter und Tochter in einfachsten Verhältnissen. Rita lernt weben, spinnen, Feuer machen und Tamazight, die Sprache der Berber, mit der ihr Kind gemeinsam mit Französisch aufwächst, denn sie leben mit französischem Pass und den Decknamen Gabrielle und Allouette Talbaut. Völlig unerwartet tauchen Schweizer Banker auf: Ritas Vater ist tot und sie steinreiche Alleinerbin. Plötzlich muss sie in die Schweiz, zurück in die Zivilisation, und von dort will sie nach Deutschland, ihre einstige Heimat. Das alles erzählt sie Allouette während diese um ihr Leben kämpft. Niemand darf den ungemeldeten Typhusfall entdecken. In den Trümmern der Stadt gibt es Deutsche, die sie als vermeintlich französische „Alliiertenhure“ hassen. Überall scheinen Misstrauen, Scham, Wut, Hass und Angst, doch dann begegnet sie Attila, einem ehemaliger KZ-Häftling, und damit der unverhofften Liebe. Doch alle verbergen dunkle Vergangenheiten: die, die vom Zerstörung profitieren, jene die alles leugnen, die Naziverbrecher und die zerstörten Menschenwracks aus den Konzentrationslagern.
*Erzählstil*
Die Personen werden feinfühlig gezeichnet, aber teilweise auch gnadenlos. Die deutsche Schwester Annemarie zum Beispiel ist korrekt und kompetent, doch ihr Hass gegen die Juden ungebrochen. Sie kann nicht einsehen, dass Menschen wie sie selbst Schuld tragen und wird es vermutlich auch nie können. Und immer wieder erinnert sich Rita an ihre jüdische Stiefmutter, und an Gabriel Talbaut, den Mann den sie geliebt hat. Er war Allouettes Vater und gab sein Leben um die beiden zu retten. Und so wird nie klar, ob Rita es schaffen wird sich von diesem Schmerz zu lösen und ein neues Leben mit Attila in Palästina zu beginnen.
Das faszinierende an diesem Roman sind die leisen Töne, die sanfte, aber bestimmte Erzählweise, in der Rita Moebius ihrer kleinen Tochter liebevoll und schmerzerfüllt ihre Geschichte anvertraut. Immer wieder wird dies unterbrochen durch Fieberkrämpfe, Arztbesuche, Drohungen der Anwohner oder später Besuche von Attila und erste Spaziergänge im zerbombten Berlin, doch dies bleibt lange nur die Rahmengeschichte.
*Meine Meinung*
Das Buch hat mir gut gefallen, auch wenn ich zugegebenermaßen, zweimal anfangen musste es zu lesen, weil es erst nach einigen Kapiteln wirklich fesselnd wird. Mir ist aufgefallen, dass sich die Autorin in ihren Grundbildern manchmal wiederholt, was irritieren kann, wenn man viel an einem Tag liest. Außerdem schien mir manchmal die verwendete Zeit unnatürlich („aber du ließest mich das wissen…“) und sie klang etwas komisch, aber abgesehen davon ist es wirklich schön geschrieben.
*Fazit*
Dieses Buch ist sicher kein Thriller und auch keine wahnsinnig romantische Lovestory, aber es ist traurig, tiefgründig und wichtig. Es schildert nicht das Überleben in Deutschland, in KZs oder die Flucht, sondern vielmehr das Leben danach, die Menschen in der Nachkriegszeit, die Fremde, Ratlosigkeit, den Schmerz und die Schwierigkeiten weiterzuleben.
Autorin / Autor: maryliz - Stand: 26. Oktober 2006