*Mein neues Buch*
Schön sieht es aus, mein neues Testobjekt: Stilvoll in Schwarz, Grün und Blau gehalten, und dann diese orangefarbenen Zahlenketten auf dem Umschlag. Seine Wirkung sollte man auch nicht unterschätzen: Nach einem kurzen Blick auf meine Pausenlektüre wurde ich meist mit einem anerkennenden Kopfnicken und geweiteten Augen gemustert, die mir eindeutig bedeuteten, dass da jemand überrascht war von meiner umfassenden Bildung und davon, dass ich mich mit den kryptischen Zeichen der wundersamen Welt der Informatik auseinandersetze. Aber abgesehen von seinen dekorativen und repräsentativen Werten hat ein Buch ja immer auch einen Inhalt, und ich muss leider zugeben, dass ich als Leser mit recht wenig Einblick in die Materie dieses Buch nicht einfach wie einen netten Roman an einem Nachmittag verschlingen konnte. Glücklicherweise hat sich André Spiegel, der Autor von „die Befreiung der Information“, jedoch recht klar auszudrücken vermocht, und so kam ich bald zügig voran mit dem Lesen. Allzu technische Details werden dankenswerterweise außen vorgelassen, und die notwendigen Begriffe und Zustände aus der Fachwelt so erklärt, dass sie auch den vielen Informatik-Muffeln klar werden sollten. Was ja denn auch zum Inhalt des Buches passt – denn eigentlich dreht sich dabei alles um die Zugänglichkeit der Information. Aller Information. Für jeden. Eine politische Idee? Ja, genau! Denn so will das Buch verstanden werden: Als Erläuterung des technischen Fortschrittes, der die Utopie einer Welt der frei verfügbaren Information wahr werden lassen könnte. Und ein bisschen auch als Aufruf, sich für die Verwirklichung dieser Utopie einzusetzen.
*Der Beginn*
Spiegel beginnt sein Buch mit einer „Bestandsaufnahme“: Wie schnell sich Informationstechnologie – also Computer – überall auf der Welt verbreitet hat, und welche neuen Möglichkeiten der Kommunikation und Datenvermittlung sich uns damit eröffnen. Diese Bestandsaufnahme beinhaltet eine kurze Geschichte des Computers, des Internets, sowie eine erste Auflistung möglicher Probleme. An dieses kurze Einführungskapitel schließt sich dann der Hauptteil des Buches an: Das Kapitel über das Betriebssystem GNU/Linux, untertitelt mit „Grundlagen einer Revolution“. Um das grundlegende Dilemma der Zugänglichkeit von Informationen zu schildern, wird hier zunächst die Geschichte der Software und der „Hacker-Szene“ beschrieben, wobei das Wort „Hacker“ nicht etwa eine Ansammlung von Kriminellen bezeichnet, sondern vielmehr die sich ab den 70er Jahren entwickelnde Gemeinschaft von Computerbesessenen Programmierern, die wie in einer großen Familie und ansonsten wohl doch recht klischeetreu (Pizza und Dosensuppe) lebte.
*Der Held der Geschichte*
Das moderne Märchen setzt sich fort, der tragische Held der Geschichte ist Richard Stallman, einer dieser Hacker, ein begnadeter Informatiker mit hohen Prinzipien, der eines Tages Probleme mit seinem Drucker bekam, und der trotz seiner Fähigkeiten nicht in der Lage war, das Gerät so zum Laufen zu bringen, wie er das gerne gehabt hätte – denn dazu fehlte ihm dessen Quelltext. Als Quelltest bezeichnet man den Code, mit dessen Hilfe jede Software geschrieben ist, also ein in Programmiersprache geschriebener Text, der definiert, was das Programm wann macht. Kann man diesen einsehen, so ist es möglich, ihn an den entsprechenden Stellen abzuändern, und Stallman könnte seinen Drucker umprogrammieren. Nur dummerweise sieht man einem fertigen Programm nicht mehr an, wie sein Quelltext aussah. Und die Bösen in unserer Geschichte, u.a. diejenigen, die besagten Drucker gestiftet haben, vertreiben nur „proprietäre Software“, was bedeutet, dass sie ihren Quelltext nicht herausgeben. Dazu zählt zumindest die Mehrheit der Software-Vertreiber, vor allem auch Software-Gigant und Fast-Monopol-Besitzer Microsoft. Der Held des Märchens wollte sich jedoch damit nicht abfinden und entwickelte sein eigenes System: GNU. Dessen Quelltext für alle frei zugänglich ist. Dieses System bildete dann zusammen mit einem ebenfalls frei zugänglichen Kern namens Linux ein Betriebssystem, das sich als Alternative zu Windows oder Macintosh zumindest in Informatiker-Kreisen etablieren konnte. Die Unterpunkte der Freien Software-Bewegung, Unterscheidungen wie die zwischen Open Source und Free Software, oder aber weiterführende Klauseln à la „Copy Left“ zu erklären, würde in dieser Rezension zu weit führen, aber fängt man einmal an, sich einzulesen, ist das alles doch gut zu begreifen und sogar wirklich spannend. Schließlich geht es hier um die Idee, dass geistiges Eigentum frei zugänglich sein müsste. Mal abgesehen davon, dass es sicher ganz nett ist, seine Programme (die man im Normalfall weiter kaufen würde – es geht lediglich darum, ihren „Bauplan“ frei zugänglich zu machen) abändern zu können, ist die Veröffentlichung von Quelltexten auch praktisch: Denn dadurch, dass eine Vielzahl von Programmierern überall auf der Welt sich mit diesen Texten auseinandersetzt, können diese ständig verbessert, Probleme schnell behoben oder gleich vermieden werden. Genug Gründe also für die „Guten“, um die Befreiung der Information in allen Bereichen zu erkämpfen – nur leider hat die Geschichte eben noch kein wirkliches Happy End.
*Freie Verbreitung von Informationen*
Im weiteren Verlauf des Buches geht es um die freie Verbreitung von Informationen und Software in vielen Bereichen, und eben auch da, wo es problematisch wird. Besonders ausführlich werden dabei die wichtigsten Probleme geschildert, vor die uns die „Befreiung der Information“ heute stellt. Da gibt es die Kryptographie, die Technik der Verschlüsselung, die es theoretisch jedem ermöglicht, seine eigenen Gedanken so zu verpacken, dass nicht einmal der mächtigste Geheimdienst der Welt diese entschlüsseln könnte (ein extrem interessantes Kapitel, wobei ich zugeben muss, dass Kryptographie mich fasziniert, seit ich das uneingeschränkt empfehlenswerte Buch „Codes“ von Simon Singh gelesen habe, das pandora vor einiger Zeit für Lizzynet getestet hat) – was natürlich auch Leuten wie Terroristen zugute kommt. Nur ist es hier schon zu spät, um solch effiziente Verschlüsselungstechniken wieder aus der Welt zu schaffen. Dann wird die Krise der Musikindustrie beschrieben, die dadurch entstand, dass man verhältnismäßig kleine Dateien wie Musikstücke problemlos im Internet verbreiten kann, was dazu geführt hat, dass sich viele die Kosten des CD-Kaufens ersparen. Auch diese Krise ist wahrscheinlich nicht mehr leicht aufzuhalten, und so müssen auch andere Modelle erwogen werden (z.B. das Einführen einer freiwilligen Spende für die Künstler). Die Filmindustrie sieht ähnlichen Problemen entgegen, die sie jedoch noch schwerer treffen würden, da man in dieser Branche hohe Ausgaben wieder einspielen muss und so die Existenz teurer Filmproduktionen an sich bedroht wird, falls sich die Filmpiraterie weiter verbreiten sollte. Einzig das Buch scheint aufgrund seiner Vorteile (leichter zu lesen, überallhin mitzunehmen, …) auch in Zukunft gute Chancen zu haben, in seiner heutigen Form bestehen zu können. Bis vielleicht auf Lexika, denn das Nachschlagen von Begriffen und auch die Aktualisierung derselben ist virtuell sehr viel besser möglich als in einem herkömmlichen Buch. Das Projekt Wikipedia zeigt außerdem, dass die Kooperation vieler Freiwilliger teilweise sogar bessere Resultate erzielen kann als eine bezahlte Redaktion.
Die Vorstellung, dass viele Dinge, die bisher Geld gekostet haben, frei verfügbar sind oder zumindest bald sein könnten, treibt jedoch die Betroffenen dazu, drastische Maßnahmen zu fordern – z.B., dass man in Zukunft nur noch Computer kaufen können sollte, die das Herunterladen von Filmen erst gar nicht ermöglichen. Was natürlich allen von Richard Stallman vertretenen Grundsätzen widerspräche.
*Parteiischer Autor*
Man merkt dem Text sicher an, dass sein Verfasser nicht gerade unparteiisch ist. Tatsächlich gibt ein kurzer Blick in dessen Biographie uns über seine Mitwirkung an Projekten der freien Software-Szene Aufschluss. Doch gerade dadurch, dass er so offen seine Position verkündet, macht sein Buch so glaubwürdig. À propos Glaubwürdigkeit: Natürlich ist das Buch auch frei verfügbar. Der komplette Text ist als Online-Version auf www.die-befreiung-der-information.de abrufbar.
So vorsichtig man auch im Umgang mit Utopien und Revolutionen (auch virtueller Natur) sein sollte – die hier beschriebene ist vielleicht tatsächlich realisierbar. Wenn wir, die Nicht-Eingeweihten, uns dafür interessieren und dafür einsetzen, dass Informationen frei verbreitet werden können; von jedem, aber auch für jeden. Spiegel schließt sein Buch mit seiner Zukunftsvision ab, die in einer Welt der befreiten Information möglich wäre: „Die Menschen werden Probleme nicht mehr darum lösen, weil sie damit ihren Lebensunterhalt verdienen müssten, sondern weil diese Probleme wichtig sind, drängend, oder auch faszinierend.“
*Meine Meinung*
Ich finde das Buch sehr spannend, denn es handelt von den Möglichkeiten, die uns dank der Informationstechnologie in Zukunft zur Verfügung stehen. Sich selbst zu informieren ist wahrscheinlich die beste Möglichkeit, sich auf diese Zukunft vorzubereiten. Daher möchte ich Herrn Spiegel danken: für die freie Bereitstellung von Information.
Autorin / Autor: idiamana - Stand: 30. Oktober 2006