Die meisten Passagiere hatten das Raumschiff bereits vor etwa einer halben Stunde betreten und langweilten sich fast so sehr, wie die Flugbegleiterinnen.
Die ersten Minuten stand sie vor der Tür zur Brücke, um sie bewaffnet mit dem Flughandbuch vor Weltraumpiraten zu beschützen. Das war noch der interessanteste Teil. Mit Rio, der anderen Stewardess in Passagierraum 7, schloss sie in dieser Zeit Wetten ab, in welche Passagierin sich der Captain diesen Flug unsterblich verlieben würde und nach welchen obskuren Mahlzeiten die Brücke nach der Landung in Grey Haven riechen würde.
Zur selben Zeit trudelten die ersten Gäste in den vorderen Teil des Raumschiffes ein, dort, wo sie sich während Start und Landung an ihre Sitze fesselten und beteten, dass das Raumschiff weder beim Hin- noch beim Rückflug explodierte, sobald der Captain die Startsequenz initiierte.
Nach zwölf Jahren Arbeit im Weltraumtourismus war sich Elle nicht mehr sicher, wofür sie betete.
Dass der Captain dieses Wochenende einen Appetit auf Rumänisch hatte, vermutlich.
Im Moment allerdings stand sie hauptberuflich im Weg, während die Gäste versuchten, ihr Handgepäck über ihren Sitzen zu verstauen. An diesem Punkt hieß es nur noch, nicht zu wenig zu lächeln, um nicht unfreundlich zu wirken und nicht zu viel zu lächeln, um nicht wie ein verrückter Raumschiffentführer auszusehen.
Wie man vor ihr in dieser albernen, mit blinkenden Sternen besetzten Uniform Angst bekommen konnte, war ihr nicht ganz klar – Aber offenbar waren bereits genug Beschwerden gegen sie eingegangen, dass ihr Chef glaubte, ein Machtwort sprechen zu müssen.
Als sich die Türen endgültig schlossen, also alle an Bord waren, die an Bord sein mussten, hieß es nur noch abwarten, die Augen schließen und sich auf das Unvermeidbare einstellen.
„Entschuldigung, in der Broschüre wurde mir ein Fußbad mit Putzerfischen versprochen, aber unter meinem Sitz ist nichts“
Elle lächelte den Mann vor ihr mit ihrem mittelmäßigsten Lächeln an und versuchte mit dem Zählen bis zehn alle bösartigen Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen, ehe sie antwortete.
„Sie werden nach dem Start des Raumschiffs Gelegenheit haben -“
Sie wurde von dem schrillen Schrei eines Kleinkindes unterbrochen gefolgt von dem noch schrilleren Schrei einer jungen Frau in Reihe D und dem Gelächter ihrer Begleiterinnen.
Na großartig, dachte sie, ein Junggesellinnen-Abschied. Sie atmete tief durch und straffte ihre Schultern. Jeder Flug war ein Krieg, ein Krieg gegen die Idiotie von Leuten, die es sich leisten konnten zum Mond zu fliegen, ein „Nein, das dürfen Sie nicht“ noch weniger akzeptierten, als die Anweisung zum Anschnallen und ihr Schamgefühl auf ihrem Heimatplaneten zurückließen.
Es war ein vergeblicher Kampf, aber einer, der ausgetragen werden musste.
Jedes Mal aufs Neue.
Ein Lunatic Airlines-Flug wäre kein Lunatic Airlines-Flug, wenn nicht alle 50.000 km etwas furchtbares passierte oder Elle dem Wahnsinn nicht ein Stück näher kam.
Die Zeit zwischen Ankunft der Passagiere und Abflug war die Schlimmste. Sie schienen in ihr eine Art Mondreiseführerin zu sehen, dabei -
„Kennen Sie irgendein paar Tricks, um die Kasino-Roboter zu überlisten?“
- brachte sie lediglich die Gäste zu ihren Schlafräumen, sobald sie die -
„Waren Sie schon mal auf der Apollo-Achterbahn?“
- Erdatmosphäre verlassen hatten und servierte -
„Würden Sie einen Mond-Rundgang empfehlen? Was zieht man da an?“
- der Crew das Essen. Stattdessen musste sie sich -
„Wann servieren die hier eigentlich das Frühstück?“
- mit Menschen herumschlagen, die noch nie -
„Ach, und kennen Sie einen netten Souvenirladen?“
- in einem Raumschiff saßen und -
„Funktioniert meine Uhr auf dem Mond überhaupt noch?“
- ihr keine Zeit ließen ihre eigenen Gedanken zu -
„Shorts oder eher lange Hosen?“
Elle lächelte, machte einen Schritt nach hinten, lächelte weiter und machte noch einen. Außerhalb des Sichtfeldes der Passagiere befand sich ein Telefon, mit dem sie direkt mit dem Captain verbunden wurde. Captain Fabian saß hinter einer schallisolierten Tür auf der Brücke und wusste, dass sobald sich das Telefon in Passagierraum 7 meldete, es Zeit war, die Warnlampen anzuwerfen und die Passagiere auf Ihre Sitze zu zwingen. Andernfalls konnte Elle für niemandes Sicherheit mehr garantieren.
„Bitte begeben Sie sich zu Ihren Sitzen und schließen Sie Ihre Gurte, wir machen uns in wenigen Minuten bereit zum Abflug. Vielen Dank, dass Sie sich für einen Flug mit Lunatic Airlines entschieden haben“
Sie nickte den Passagieren zu und setzte sich auf ihren Platz in dem Durchgangsraum zur Brücke, um sich selbst anzuschnallen. Darauf zu achten, dass alle auf ihren Plätzen saßen und beim Start nicht durch die Gegend geschleudert wurden, war Rios Aufgabe. Lange würde es jedoch nicht dauern, bis sie sich wieder abschnallen und die Gäste durch das Raumschiff führen musste.
„Ich brauche einen Drink“, stöhnte sie, als sie die Atmosphäre der Erde passierten und das Schreien der Kinder zu einem vergnügten Glucksen wechselte. Es war ein schöner Moment, aber wie alle schönen Momente an Bord der Escape, schnell vorbei.
„Guck mal Mama, die Sterne!“ würde in wenigen Minuten zu einem sehr gelangweilten „Wie lange noch?“ werden, dessen Lautstärke proportional zur Dauer des Fluges anstieg.
„Wer hielt 51-Stunden-Flüge im Weltall für eine gute Idee?“, fragte Elle den Computer der Flugbegleiter, der im Grunde nur eine glorifizierte Kaffeemaschine mit der Stimme eines bereits toten Bluessängers war. Es war eine klobige Angelegenheit, direkt neben ihren Sitzen, mit einer Sprechanlage, einem Notfalldetektor, einem Heißgetränkautomaten und einem Fach für Putzmittel.
Sie nannten ihn ICU, kurz für Interstellar Computing Unit, beziehungsweise C für Coffee.
Cs rotes Lämpchen schimmerte einen Moment lang schwach, während er sich seine Antwort überlegte. Nach einem Moment tönte es in einem samtigen Bass aus der Sprechanlage:
„Die Menschheit“