Pass auf, dass du nicht in den Gulli fällst
Figurprobleme - Mal andersrum
Zu den häufigsten und meist imaginären Figurproblemen zählt wohl das Gefühl zu dick zu sein. Ob nun ein bisschen Speck an Bauch und Hüfte, vermeintlich schwabbelige Oberschenkel oder ein Po, von dem man meint, er sei zu unproportional für den eigenen Körper, sind schon für viele Frauen Grund genug, dem Diätwahn zu verfallen. Solche Frauen zählen dann zu der Sorte, von denen ich oft genug den Satz höre: "Ach Amélie, du kannst dich glücklich schätzen, kannst essen was du willst und nimmst trotzdem nicht zu." Tatsächlich kann ich das, aber was es eigentlich bedeutet, bei einer Körpergröße von 1,73 m nur 46 kg zu wiegen, können sie sich nicht vorstellen. Mit so einer "Laufstegfigur" lebt es sich nämlich gar nicht so einfach. Ständig begegnet man Leuten, die einen für essgestört halten. Ob nun Ärzte, die einen nach Essverhalten ausfragen (obwohl man eigentlich nur zur Grippeimpfung kommt) und einem unbedingt in den Rachen schauen wollen, mit der Vermutung dort von Magensäure angegriffene Schleimhäute vorzufinden, oder Lehrer, die dezent bei den Eltern anfragen, ob ihnen nicht aufgefallen wäre, dass ihre Tochter zu wenig essen würde. Selbst wenn Essstörungen im Unterricht Thema sind, wird man von allen Seiten skeptisch gemustert.
*Iss mal was Kindchen*
Auch vor Spötteleien ist man als Bohnenstange nicht sicher. Sätze wie: "Pass auf der Strasse auf, du könntest in einen Gulli fallen!" gehören noch zu der harmlosen Sorte. Modisch hat man es als dünner Mensch ebenfalls schwer. Eine passende Hose zu finden (eine, die nicht aussieht wie eine Baggy-Pants oder in der man 10 cm Hochwasser hat) ist schon fast so ein Glücksfall wie ein Sechser im Lotto. Hohe Schuhe, obwohl ich sie so schick finde, sind für mich ein Tabu (man will schließlich nicht die jämmerliche Figur eines wackelig hüpfenden Storches abgeben). Ist man bei einer fremden Familie zum Essen eingeladen, kriegt man dann automatisch von der Mutter, meist auch noch mit Worten wie: "Iss mal was Kindchen", die doppelt oder dreifache Portion aufgetischt. Bemerkt man in so einer Situation schüchtern, man hätte aber nicht so einen großen Appetit, erntet man nur besorgte Blicke der mit am Tisch sitzenden, die wohl sowieso jeden Moment damit rechnen, man würde in einem Anfall von Schwäche vom Stuhl fallen. Selbst auf Klassenfahrten wird man am Mittagstisch von besorgten Lehrern beobachtet, die nach einem Indiz für ihren Verdacht Ausschau halten. Generell scheine ich einen kränkelnden, schwachen Eindruck zu verbreiten. Besonders im Winter, wenn die Blässe langsam zurückkehrt, erkundigen sich viele nach meiner Gesundheit. Muss man sich während des Gesprächs dann mal die Nase putzen oder niesen wird schon vorsichtshalber das Handy rausgeholt. Man könnte ja den Notarzt rufen müssen... So ein unbeschwertes Leben, wie sich das manche Leute vorstellen, hat man als dünner Mensch also nicht. Ich jedenfalls wäre froh, hätte ich ein paar Kilo mehr auf den Hüften, denn dann hätte ich auch ein paar Probleme weniger.
Autorin / Autor: Tritania - Stand: 16. November 2004