Einführung der Ganztagsschule - Teil 3

Und wo bleibt das Vereinsleben?

Kinderentzug für begeisterte Hausfrauen?

Zwar wünschen sich fast 60% der Eltern auch in Deutschland eine Ganztagsschule, andererseits finden unglaubliche 47 Prozent der westdeutschen Frauen, es sei "für alle viel besser, wenn der Mann voll im Berufsleben steht und die Frau zu Hause bleibt und sich um den Haushalt und die Kinder kümmert" (!). Was nun, wenn „sie“ gar nicht arbeiten möchte, wenn „sie“ es als ihr Aufgabe ansieht, ihre Kinder selber aufzuziehen und nachmittags zu betreuen? Soll man die Kinder trotzdem bis 16.00 Uhr in irgendwelche Schulen sperren, wo sie in Klassen mit 30 Schülern bei noch schlechter gelaunten Lehrern (schließlich bedeutet dies für die ja auch eine Zusatzlast) beaufsichtigt werden? Sollen die Kinder jeden Tag mit den gleichen Leuten ihre Nachmittage bei Rechenspielen verbringen, anstatt wie früher mit Omas Waldi spazieren zu gehen, mit jüngeren oder älteren Nachbarskindern Hütten zu bauen oder ins Fußballtraining zu gehen?

Vereinsleben ade

Besonders in ländlichen Gegenden haben Kinder gerade im Grundschulalter noch viele Möglichkeiten, sich selbst im Freien zu beschäftigen. Eine gut organisierte Vereinsstruktur bietet in Deutschland immerhin 9 Millionen Kindern und Jugendlichen ebenfalls Abwechslung und Auswahl. Es liegt an den Schülern selbst, dies zu nutzen oder ihre Nachmittage vorm Fernseher oder mit eintönigen Computerspielen zu verbringen.
Wer in Vereine und sonstige Freizeitaktivitäten integriert ist, zieht bei einer Ganztagsschule sicher den Kürzeren. In vielen Vereinen hat es sich eingebürgert, dass die Älteren die Jüngeren trainieren, viele Jugendliche machen Fortbildungen oder sind aktiv Jugendleiter. Bei höherem Zeitaufwand für die Schule, bleibt weniger Zeit für den Verein. Um selber in der Sportart vorwärts zu kommen oder auf gleichem Leistungsstand zu bleiben, ist Training notwendig. Ob dann neben Ganztagsschule und eigenem Training noch Zeit für das Trainieren Jüngerer bleibt, ist fraglich.
Andere Jugendliche helfen ehrenamtlich bei Organisationen wie dem Roten Kreuz, sind bei den Pfadfindern oder müssen sich ihr Taschengeld durch Zeitungsaustragen verdienen. Wer bis 16.00 Uhr zur Schule geht, hat dafür keine Zeit, zumal im Winter ab 17.00 Uhr für Aktivitäten im Freien auch kaum noch ausreichend Licht vorhanden ist. Was wird aus den ganzen Ballettlehrern, Tennistrainern, Musikschulen und Reitställen? Wenn die Kinder an den Nachmittagen in der Schule betreut werden, bleiben die Tennisplätze, Reithallen und Turnhallen leer. Die vorhandenen Fachkräfte und Ehrenamtliche ins Ganztagsschulenkonzept zu integrieren, wird nur teilweise möglich sein. Wer entscheidet, welcher Musiklehrer das Programm organisiert, welcher Tennistrainer eine AG leiten wird und in welchem Reitstall die Jugendlichen mitunterrichtet werden? Auch logistisch ergeben sich Probleme, wenn die vorhandenen Örtlichkeiten weiterhin genutzt werden sollen. Wie sollen die Schüler zum abgelegenen Reitstall kommen, zu dem sie bisher von ihren Eltern gefahren wurden? Wie werden die Zusatzangebote finanziert, besonders in Sportarten, die sich nicht alle leisten können?
In Gebieten, wo nur wenige Freizeitangebote vorhanden sind und die Kinder ihre Nachmittage planlos verbummeln können sicher viele von einer Ganztagsbetreuung profitieren.

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Autorin / Autor: gitana - Stand: 18. Mai 2004