"Mérida: In Yucatáns Hauptstadt haben heute Bauern angekündigt, Klage gegen den Genfood-Konzern Hyper Corn einzulegen. 'Es ist eine Frechheit, dass unsere traditionelle Anbauweise immer mehr von Monokulturen zurückgedrängt wird', sagte der Bauer Luis Manuel Espinoza Ramírez gegenüber unserem Reporter. "Wir brauchen kein Genfood! Wir brauchen Diver-"
Ich schalte den Fernseher aus. Dieser Luis geht mir auf die Nerven. Nicht nur sieht sein Kopf aus wie ein Kürbis, er liegt mir auch schon seit zwei Wochen mit seinen nicht enden wollenden Klagen über sein Gemüse in den Ohren.
Luís war Kleinbauer, bevor ich – die Leiterin des neuen Hyper-Corn-Projekts – beschloss, dass wir von jetzt an die effiziente Maissorte MON916 anpflanzen würden. Damit können deutlich mehr Menschen als bisher mit Mais versorgt werden. Außerdem wächst der MON916 schneller, wirft also einen größeren Ertrag ab.
Die Kleinbauern konnten mit der neuen Konkurrenz nicht mithalten. Aber wir sind nicht herzlos: Wir bieten ihnen an, unseren MON916 zu kaufen.
Was ist daran verkehrt?
"Mama?", ruft mein Sohn. Ich lasse die bösen Gedanken über Luis im Wohnzimmer und gehe zu Miguel, meinem Augenstern. Leider habe ich vor lauter Arbeit viel zu wenig Zeit für ihn.
Miguel guckt mich mit seinen großen Augen an und fragt: "Was ist ein Gorilla?"
"Ein Gorilla?", wiederhole ich erstaunt. Dann erinnere ich mich daran, dass die Menschenaffen vor zehn Jahren ausgestorben sind. Miguel ist acht.
"Gorillas waren...", beginne ich. Dann wird mir klar, dass ich nicht mehr weiß, wie die Viecher aussahen. "...groß und...äh...haarig."
"So wie Papa?", fragt mein Sohn.
"So ähnlich", lächele ich. "Es ist schon zehn. Morgen bin ich den ganzen Tag in Mérida. Im Kühlfach liegen noch Fischstäbchen. Die machst Du Dir, ja?"
"Ist gut", murmelt mein Sohn. Als ich aus dem Zimmer gehen will, ruft er mir hinterher: "Und warum gibt es keine Gorillas mehr?"
Ich drehe mich um. "Na ja, es gab einfach nicht genug Platz für sie auf der Welt", sage ich. "Bei all den Menschen. Du weißt ja, was in der Bibel steht, oder? 'Macht euch die Erde unteran'. Wir waren nun einmal stärker als sie."
Komisch. Ich habe das Gefühl, dass diese Antwort Luis Ramírez nicht zufrieden stellen würde.
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Am nächsten Morgen werde ich kurz vor Mérida von einer Meute angehalten, die mich glauben lässt, dass die Gorillas doch noch nicht ausgestorben sind. Natürlich ist der Oberaffe höchstpersönlich unter ihnen.
"Luis", grüße ich knapp.
"Sie kommen hier nicht durch, Sie Bohnenstange!", keift er. "Ich lasse Sie die Felder meiner Vorfahren nicht anfassen."
"Wie haben Sie mich genannt?" Ich bin sprachlos. "Wenn Sie nicht sofort aus dem Weg gehen, fahre ich Sie um!"
Die Bauern weichen keinen Millimeter zurück. "Umweltzerstörerin!", ruft irgendwer. Also wirklich! Gekränkt steige ich aus dem Auto und baue mich vor den Leuten auf.
"Jetzt denken Sie doch mal rational", beginne ich. "MON916 bringt viele Vorteile mit sich – er ist die Nahrung der Zukunft, das neue Gold unseres Landes. Wenn Sie ihn auch anbauen würden, müssten Sie die Landwirtschaft gar nicht aufgeben. So aber..."
Ich zucke mit den Schultern. Die Menge buht mich aus.
Luis schüttelt den Kopf. "Die Dame versteht nichts", sagt er zu den Männern und Frauen. "Wenn ihr erlaubt, zeige ich ihr Marías Milpa."
Skeptisch ziehe ich die Augenbrauen hoch. Was zur Hölle ist Marías Milpa? Ein Folterinstrument?
Die Menge scheint unentschlossen, ob sie mir so viel Gnade zu teilwerden lassen sollte. Aber dann murmeln die meisten: "Tu es, Luis."
Ehe ich mich versehe, setzt sich Luís in meinen Wagen – ans Steuer! Ich schüttelte den Kopf.
"Das geht so nicht, ich habe Termine", erkläre ich.
Luís rümpft die Nase. "Das Geldmachen kann jetzt mal warten", sagt er.
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Kürbisse.
Kürbisse, Bohnen.
Und Mais.
Das ist Marías Milpa. Ein Gemüsebeet.
Luís steht neben mir. "Wir nennen sie die drei Schwestern", sagt er. "Mais dient den Bohnen als Rankhilfe, die Bohnen geben dem Mais Stickstoff, die Kürbissblätter schützen vor Hitze und Regen. Es ist eine Mischkultur. Schonend für die Umwelt und produktiv. Schon meine Vorfahren haben die Milpa angebaut. Und deren Vorfahren. Sogar die Maya."
"Wer ist María?", frage ich.
"Meine Großmutter", entgegnet Luís. Er seufzt. "Die Milpa ist ihr Ein und Alles. Wissen Sie, es ist nicht gut, wenn wir zu stark versuchen, alles zu vereinheitlichen. Die Natur ist auf Diversität ausgelegt. Das macht sie widerstandsfähig.
Ihr Genmais...Wir wissen doch nicht einmal, ob der uns nicht schadet. Oder den Tieren. Oder anderen Pflanzen."
"Unsere Wissenschaft ist auf dem neuesten Stand", entgegne ich. Warum klinge ich wie ein patziges Kind? Seltsam.
Luís winkt ab. "Die Wissenschaft kann nicht so viel, wie sie denkt. Oder hat sie es etwa geschafft, das Artensterben und den Klimawandel aufzuhalten? Warum müssen Sie immer alles effizienter machen? Warum können Sie es nicht einmal so lassen, wie es ist?" Er schlägt sich die Hand vor die Stirn. "Oh, ich vergaß: Es geht ja um Geld!"
Ich lasse ihn stehen.
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Abends bin ich so müde, dass ich nur noch ins Bett fallen will. Doch als ich gerade ins Schlafzimmer gehen will, höre ich ein Röcheln.
Miguel.
Sofort lasse ich alles stehen und liegen und renne in die Küche. Mein Sohn hängt mit blauem Gesicht und halb geschlossenen Augen auf dem Stuhl, vor ihm steht ein halb aufgegessene Portion Fischstäbchen.
Ich schreie seinen Namen.
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Plastik.
Plastik in den Fischstäbchen. Das hat meinen Sohn krank gemacht. Er hat eine Allergie.
Jetzt liegt er im Krankenhaus.
Ich habe mir frei genommen, weil ich nicht weiß, wo mir der Kopf steht.
Alles, woran ich denken kann, sind Luís Worte:
"Ihr Genmais...Wir wissen doch nicht einmal, ob der uns nicht schadet.
Auf Méridas Feldern blüht goldgelb der Mais.
Seit Jahrtausenden ernährt er uns zuverlässig.
Seinetwegen wurden wir stark. Wir wurden viele.
Aber wir vergifteten unsere Nahrung.
Unser Gold wurde unrein.
Heute essen wir unseren Dreck.
Und morgen?