Der Workaholiker
Beitrag von Lorelei Ross, 23 Jahre
Der workus alkoholicus (in deutschen Fachkreisen eher bekannt als „das Arbeitstier“) ist eine erst kürzlich entdeckte Spezies. Gezüchtet wurde er von dem Ministerium für Rationalisierung, Optimierung & Produktivität und er ernährte sich von der beständigen Angst, wegen der kleinsten Kleinigkeit outgesourced oder lohngedumped zu werden.
Getarnt als „der perfekte Arbeitnehmer“, zeichnet sich der workus alkoholicus vor allem durch seine absolute Pünktlichkeit – eine Viertelstunde vor Arbeitsbeginn – aus. Diese wird auch durch Glatteis oder Staus nicht geschmälert. Im Zweifelsfall übernachtet er einfach im Auto auf dem Parkplatz vor der Firma.
Seine Motivation kennt keine Grenzen. So ist ihm „schlechte Laune“ ein Fremdbegriff. Sein Lächeln tackert er sich jeden Morgen frisch ins Gesicht und alle Beweise der nicht ewig währenden Jugend werden einfach großzügig mit Make-up und anderweitiger Fassadenfarbe überdeckt.
Besonders zu erwähnen ist an dieser Stelle die vorbildliche Arbeitsmoral des workus alkoholicus. Überstunden sind für ihn eine Selbstverständlichkeit. Arbeit ist sein Leben. Deswegen nimmt er gerne auch noch einen zweiten Vollzeitjob an. Ab dem dritten Achtstundenjob spart er sich sogar seine Wohnung. Das muss ihm der Otto-Normal-Verbraucher erst einmal nachmachen…
Generell sieht der workus alkoholicus überall Einsparpotential. So geht er nicht einfach, wie Otto-Normal-Verbraucher „kurz mal schnell“ nach der Arbeit einkaufen. Nein, beim workus alkoholicus wird der Einkauf „zelebriert“. Meist in der Form, dass er mit einem Taschenrechner bewaffnet stundenlang vor dem Marmeladenregal steht und die Produkte in Abhängigkeit vom Preis-/ Leistungsverhältnis und Geschmack zur Relation des Ablaufdatums miteinander vergleicht.
Alles kann in den Augen des workus alkoholicus optimiert werden. So versucht er sich aktuell an der zeitverschlingendsten Tätigkeit der Welt: dem Schlaf. Schlaf ist für ihn absolut überbewertet.
Da Vinci hat, laut eigenen Angaben, alle vier Stunden 15 Minuten geschlafen und so seinen Schlaf auf eineinhalb Stunden am Tag reduzieren können. Der workus alkoholicus weiß dies zu toppen. Er schläft… gar nicht mehr, was ihm nur durch die Erfindung der Kaffee-Maschine auch ermöglicht wird.
Aber damit nicht genug. Auch beim seinem Nachwuchs findet sich Verbesserungspotential. Während die Kinder des Otto-Normal-Verbrauchers im Kindergarten das ABC singen, besucht der Nachwuchs des workus alkoholicus Früherziehungs-Anstalten und lernt CDE: Chinesisch, Deutsch, Englisch.
Erweitert wird dies in der Grundschule mit F und G. Fluidmechanik und Griechischer Philosophie. Wenn sich der hochbegabte Nachwuchs dann noch unterfordert fühlt, wird er zu Musikschulen und Sportvereinen geschickt, bis er Beethovens 5. Symphonie auf der Tuba während des 110 Meter Hürdenlaufs spielen kann.
Turboabitur G8 war gestern. Der Nachwuchs des workus alkoholicus macht mit acht Abitur, studiert Jura, Medizin und Wirtschaftsinformatik an den drei besten Elite-Universitäten der Welt gleichzeitig, damit… ja, damit er für die aktuelle Arbeitswelt bestens gerüstet ist.
Eine Arbeitswelt, in der die Latte immer ein Stück höher liegt, als man eigentlich springen kann. In der es heißt: „Fressen oder gefressen werden“. Wo „jeden Tag ein bisschen besser“, niemals ausreichend sein wird. Weil alles nicht nur gut, sondern „perfekt“ werden muss.
Und jedes Mal, wenn jemand sagt: „Geht nicht – gibt’s nicht!“, wird das Unmögliche möglich gemacht. Denn: „Nichts ist unmöglich“ – Na, super…
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Autorin / Autor: Lorelei Ross, 23 Jahre