Ein Lagebericht aus der Zukunft
Stimmen Sie den oben genannten Bedingungen zu?
[x] Ja
Vielen Dank! Sie sind nun offizielle Teilnehmerin der Betaphase des Programms XpW4.
So. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich bin dabei. Nicht, dass ich groß eine Wahl gehabt hätte. Jetzt haben die Zugriff auf alles. Meine Kameras, meine Eingaben, Kontakte, Telefonate, Fingerabdruck, Wohnraum, Gespräche mit Freunden… alles.
Alles, was an Daten über mich gesammelt werden kann. Meine Atmung und mein Puls wird überwacht, meine Bekleidung plus Gepäck gescannt. Völlig transparent.
Regelmäßige Gesundheitschecks sind verpflichtend.
Ich bin ab sofort dazu verpflichtet, mindestens alle zwei Stunden einen Statusbericht über mein Empfinden, meine Umgebung und die Menschen darin abzugeben.
Schlafen, so wie es früher einmal üblich war, tun wir nicht mehr. Diese veraltete Gewohnheit wird neben einigen anderen schon nach der Geburt durch eine Routineoperation, zu der man verpflichtet ist, verändert. Im Grunde werden alle Routinevorgänge von ausgeklügelten Maschinen erledigt - also natürlich auch so gut wie jede Art von Operation.
Mittlerweile braucht es nur noch kurze Einheiten zum Energietanken, die dem Schlafen ähneln. Davor sucht man sich eine der vorgegebenen Simulationen - sagen wir Träume (das klingt schöner) aus und befindet sich für gute 20 Minuten in eben diesem künstlichen Traum.
Tägliche Bewegung von über einer Stunde bringen mir BonusPoints, denn effiziente Energiequellen sind eines der Hauptfelder, in denen sich die Leute hinter XpW4 herumtreiben. Viel mehr weiß ich über diese Leute aber auch nicht. Man kann jedoch davon ausgehen, dass kaum noch etwas unabhängig von ihnen geschieht.
Erledige ich meine Arbeit ohne Unterbrechungen tadellos, erhalte ich ebenfalls Points.
Was „tadellos“ genau heißen soll, bestimmt mein Kontrollposten, der nach mir unbekannten Algorithmen einordnet.
Die Zustimmung, die ich gerade erteilt habe, ist im Grunde ein Witz und dient bloß zur Legitimierung ihrer Machenschaften. Ich bin überzeugt davon, dass deren „Programm“ bald sowieso eine Routinemaßnahme wird - egal ob man es gutheißt oder nicht.
Jeder weiß, dass es mittlerweile unmöglich ist, einen Job als Nichtmitglied zu ergattern. Ich kann mich sowieso glücklich schätzen, einen angeboten bekommen zu haben.
Bedingung war lediglich die Teilnahme an XpW4.
Meine neue Stelle als „Traumerfüllerin“ klingt sehr viel romantischer, als es tatsächlich ist.
Aber ich kann mich nicht beschweren, immerhin werde ich jetzt mit ziemlicher Sicherheit viele Points verdienen können - und die sind wortwörtlich lebenswichtig.
Ohne Points verliere ich alles und muss im schlimmsten Fall die Zone verlassen.
Und jeder weiß: dort draußen herrscht ein Chaos vollkommener Zerstörung und Brutalität.
Meine Aufgabe besteht in Zukunft darin, Menschen, die den Einsatz der Hilfscomputer, -roboter usw. verweigern, zu beobachten, ihnen zuzuhören, ihr Vertrauen zu gewinnen und anschließend Shots - so nennen wir die Simulationen - zu entwerfen, die sie langsam aber sicher dazu bringen, diese eigentlich alltäglichen Geräte einzusetzen und letztendlich auch dem XpW4 beizutreten.
Eine andere Version meiner Tätigkeit ist die der „Traumerfüllerin“ für die Reichen, die sich nicht mit den vorgefertigten Simulationen abgeben wollen, sondern von Menschenhand entworfene Unikate bevorzugen. Das ist dann auch die Sorte von Mensch, die nicht das bereitgestellte Labortierfleisch isst, sondern das gezüchtete aus dem Blut irgendeines Prominenten - oder auch eines Feindes, je nachdem wie makaber die Person ist, mit der wir es hier zu tun haben.
Wo wir gerade bei Laborfleisch sind; in diesem Bereich werden ebenfalls echte Menschen eingesetzt. Die Aufträge bestehen dann darin, eben genannte vermeintlich wichtige Persönlichkeiten dazu zu bringen, Blutspenden zu verrichten, um diese dann anschließend im „Labor“ zum höchst teuren Luxusfleisch entwickeln zu lassen.
Generell legen die höhergestellten, beziehungsweise privilegierten Schichten heutzutage besonderen Wert darauf, von echten Menschen umgeben und umsorgt zu werden. Ich denke, das gibt ihnen ein Gefühl der Macht, vielleicht aber auch schlichtweg eine vorgetäuschte Nähe zu anderen Menschen, die einer Familie ähnelt.
Die Vielzahl der Menschen in der Zone hat gar keine Arbeit mehr. Sie sammeln sich durch Bewegung und vorbildliches Benehmen ein paar Points zusammen und kommen damit gerade so über die Runden. Aber auch nur, bis die Population zu hoch anwächst – dann wird der untragbare Teil mit niedriger Points-Anzahl der Zone verwiesen.
Einige, Glückliche können im Software- und Überwachungsbereich arbeiten. Auch das Entertainmentbusiness birgt ein paar wenige Jobs. Vereinzelt werden Leute auch in anderen Berufen gesucht, doch das ist immer seltener der Fall. Die Mehrheit der früher üblichen Berufe ist heute komplett überholt und wird durch effektivere und intelligentere Maschinen ausgeübt.
Wie man sieht, beruhen die wenigen Jobs die es noch gibt, so traurig es auch klingen mag, zu großen Teilen auf Manipulation durch unehrlich aufgebaute Nähe zu anderen Menschen. Natürlich ist das nicht allseits bekannt, sonst würde das Konzept in sich zusammenbrechen.
Deshalb stehen wir alle unter einer absoluten Schweigepflicht. Und absolut heißt heutzutage auch absolut. Verbannt werden will hier niemand.
Ich widerstrebe dem Konzept, nachdem meine Welt aufgebaut ist.
Aber ich sehe keine Wahl.
Denkst du noch mit?