Sommerwind.
Er pustet fast unangenehm kräftig durchs Cabrio. Hart. Schnell. Reizt die Augen. Aber es ist so todschick, im Sommer Cabrio zu fahren. Das Cabrio ist nur geliehen. Das ist ihr egal. Und mir natürlich sowieso, denn sie sitzt ja neben mir.
Sonnenschein. Sie lacht. Es ist ihr stilles, glückliches Lachen, nicht das falsche laute. Der Wind durchzieht ihre Locken, ich kann ihn sehen. Ihr Haar bewegt sich nicht, aber es wird kühl an ihrer Kopfhaut; ich weiß das, weil sie sich kurz schüttelt.
Salzduft. Sie atmet ein. Riechst du das auch? Im Radio die Beatles. Was spielen die für altes Zeugs. Sie schaltet aus. Sie dreht sich zu mir. Ihre Hand auf meiner Hand. Ich liebe diesen Moment. Es ist der schönste Moment des Tages.
Silbermöwenschrei. Der Moment ist kurz. Er endet dann, wenn mir einfällt, dass der schrecklichste Moment gleich folgt. Alles fällt mir wieder ein. Dass es gleich plötzlich vorbei ist. Hier muss ich bremsen. Bremse kaputt. Das habe ich schon viel zu oft erlebt.
Steilkurve. Ich kann nichts machen. Diesmal ist es zu spät. Mal wieder. Ich will ihr noch sagen, dass ich sie liebe. Ich schaffe es nicht. Ich hoffe, dass sie es weiß. Von irgendwoher hupt jemand. Dann der Baum.
Schwarzblitz.
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Alles schwarz.
Ich bin zurück. Es ist windstill. Sie ist nicht mehr da. Ich gehe nach Hause. Bis morgen. Morgen geht es wieder von vorne los. Seit schwarzen zwanzig Jahren.
Wie lange ist das schon her. Zwanzig Jahre. Ich glaube es nicht, als ich es zum ersten Mal höre. Zurück? Zu ihr? Alle sind skeptisch. Aber ich will es probieren. Aus irgendeinem Grund weiß ich, dass es klappt. Schon beim ersten Mal. Obwohl ich es doch noch gar nicht wirklich weiß.
Dann bin ich zurück. Zum ersten Mal zurück. Ich habe sie zurück. Ich habe vergessen, dass es nicht echt ist, dass es nicht neu ist, aber das ist mir im Rückblick egal. Eigentlich umso besser. Hauptsache, es ist wahr. Es passiert.
Ich habe vergessen, was noch werden würde, ich weiß nur, es würde schön werden. So schön. Sie und ich, nur wir zwei, na ja, sie will Kinder, ich auch, aber noch nicht jetzt, erst will ich sie noch ein bisschen für mich haben, wir haben so viel Zeit. Unser ganzes gemeinsames Leben. Wieder und wieder. Fast bis zur Ewigkeit. Doch dieser Tag ist schnell vorbei. Die Sonne scheint, wir nehmen ein Cabrio, lass uns zum Strand.
Ich brauche nichts mehr außer diesen Tag. Eigentlich könnte ich aufhören. Eigentlich. Aber ich schaffe es nicht. Egal, wie oft ich es versuche. Ich kann nicht weiter. Nicht ohne ihr Lächeln. Ihre Locken. Den Sommerwind. Den Schmerz. Ich brauche diesen einen Tag. Immer wieder. Irgendwann höre ich auf, bestimmt, aber noch nicht jetzt. Einmal noch. Es ist ja nur ein Mal.
Endlich ist es wieder so weit. Ich kenne den Weg zum Institut, ich fahre früh los, ich fahre langsam. Ich klingele an der Pforte, ich werde erwartet, habe einen Termin, wie jeden Tag, kommen Sie herein. Ich gehe durch Türen, Treppen hoch, Schleusen entlang, piep, piep, piep, schon bin ich da.
Ich schüttele dem Mann die Hand, ich kenne seinen Namen nicht, dabei kenne ich ihn doch seit zwanzig Jahren. Er öffnet die Kabine.
Ich trete ein. Ich streichele das Monstrum aus Glas, aus Kabeln, Drähten, Licht. Ich verstehe nichts davon. Und doch weiß ich alles. Ich weiß, was das Monstrum kann. Es beschert mir heute noch einen anderen Tag.
Der Mann erklärt mir alles, gesetzliche Vorgabe, daran muss er sich halten, es ist schließlich sein Job. Er lächelt dabei, weiß schließlich, dass er mir nichts mehr erklären muss.
Ich setze mich auf den dünnen Vorsprung aus Plexiglas, stütze mich mit beiden Händen auf, fast bereit, mich wieder hochzudrücken, aber ich bleibe sitzen. Natürlich bleibe ich sitzen. Wie jeden Tag. Ich atme ein und nicke, halb zum Zeitingenieur, der vor der Maschine steht, halb zu mir selbst. Ich schließe die Augen und drücke den Knopf. Zurück. Dieser eine Tag. Es wird das letzte Mal sein. Diesmal bestimmt.
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Sommerwind.