Chingu
von Lena J., 25 Jahre
„Das…! Es funktioniert nicht!“
Herr März fuchtelte mit seinen fleischigen Händen in die Richtung des Labradorwelpen, der sich vor ihm in seiner Transportbox zusammengerollt hatte und nun durch die Gitterstäbe zu ihnen hoch schielte.
„Wissen Sie, ich habe das alles nur aus Liebe zu meinem Enkel gemacht und jetzt sowas? Für das Geld hätte ich, hätte ich…“ Sein Kopf lief rot an, er verschluckte sich, begann zu husten.
„Ein Glas Wasser?“, versuchte Dr. Song es ruhig. Herr März ignorierte ihn.
„Der Hund ist seit vier Generationen in unserer Familie. Noch nie hat es Probleme gegeben! Und dann so etwas! Er hat nach meinem Jungen geschnappt. Geschnappt hat er nach ihm! So etwas kam noch nie vor, in meinen 63 Jahren noch nicht.“
Geschnappt… Dr. Song runzelte die Stirn. Der Labrador sah mit dunklen, runden Augen zu ihm auf. Ein Systemfehler?
Er sah auf die Akte. Labrador. Name: Maxi. Besitzer: Familie März, in der 4. Generation. Erfolgreiche Memory Transfers: 5. Letzter Eingriff vor zwei Monaten. Keine Auffälligkeiten.
Das koreanische Unternehmen Chingu – koreanisch für Freund – hatte sich auf den Transfer von Haustiererinnerungen spezialisiert.
Mittels einer Art Mikrochip aus einer körperzellähnlichen Struktur wurden die Erinnerungen sterbender Hunde gespeichert und anschließend neuen Jungtieren direkt in das noch wachsende Gehirn eingepflanzt. So ließ sich zum einen der Charakter des Welpen in gewissem Maße formen, zum anderen waren die Hunde schon von klein auf mit ihren Besitzern vertraut und beherrschten die gängigen Kommandos, die man ihnen sonst mühsam antrainieren musste.
Der beste Freund des Menschen – für die Ewigkeit.
Es handelte sich hierbei keinesfalls um einen Klon, darauf legte Dr. Song wert. Klonen wurde von vielen Menschen immer noch als negativ angesehen, sie fanden es gruselig und ethisch nicht vertretbar. Doch die Produkte von Chingu waren keine Kopie, sondern das Original. Und Deutschland war der beste Absatzmarkt.
In der Zukunft würde so eine Art des Memory Transfers vielleicht sogar mit Alzheimerpatienten möglich sein. Die Forschungen dazu liefen bereits. Aber offensichtlich war es bis dahin noch ein weiter Weg…
„Hören Sie mir überhaupt zu?“ Herr März schnaufte, ein Speichelfaden flog auf Dr. Songs Brillenglas. „Ich will, dass Sie das in Ordnung bringen!“
Dr. Song setzt ein professionelles Lächeln auf.
„Natürlich, Herr März. Das werden wir. Lassen Sie den Hund einfach hier, wir werden schnellstmöglich eine Systemkorrektur beantragen. Es muss einen Fehler beim Memory Transfer gegeben haben. Manchmal reagieren die Probanden dann übermäßig aggressiv. Sie können gerne dort vorne in Raum 2b Platz nehmen und auf ihn warten.“
Herr März schnaubte und machte sich auf.
Dr. Song sah ihm nach, bis er den Raum erreichte und die Tür hinter sich schloß. Der Hund hatte sich inzwischen in seiner Transportbox zusammengerollt und schnarchte leise.
Dr. Song legte eine neue Notiz in seiner Datenbank an. Herr Anton März (1. Transfer, Alzheimerstudie): Systemfehler Gemütslage - zu cholerisch. Zweiter Vermerk. Sofortige Korrektur beantragt. Behandlungszimmer: 2b.
„Schwester Lee? Patient in Behandlungszimmer 2b. Korrektur.“
„Ja, Dr. Song.“
Einsendungen zum Schreibwettbewerb
Autorin / Autor: Lena J., 25 Jahre