Sie geht weiter, um an etwas Anderes zu denken, etwas Schöneres, doch erfolglos. Der Gedanke lässt sich nicht vertreiben.
Sie geht zum Marktplatz, wie auch die meisten anderen Kobolde. Alle sind gut gelaunt. Plötzlich hört man einen Schrei. Dann geht alles ganz schnell. Die Wachen schlagen Alarm, alle rennen los, eine Massenpanik. Sie dreht sich um. Entsetzen erfüllt sie. Eine riesige Feuerbrunst kommt auf sie zu! Sie frisst alles, was sie erreicht. Ohne nachzudenken sprintet sie los, weg, bloß weg! Das Feuer kommt immer näher, egal wie schnell sie laufen. Die Luft wird heiß und der Rauch erschwert Sehen und Atmen. Sie läuft noch schneller. Wieso kommt es so gut voran? Sie wagt einen Blick nach hinten. Durch den dunklen Rauch sind Menschen zu erkennen. Aus sicherer Entfernung sehen sie zu, wie sie alles zerstören. Den ganzen Wald und jeden, der nicht schnell genug fliehen kann. Sie hinterlassen nur Asche und Tod.
Mira schüttelt den Kopf, um die Erinnerung zu vertreiben. Es ist ein Wunder, dass sie entkommen ist. Es wird langsam dunkel. Wo kann sie die Nacht geschützt verbringen? Sie blickt sich um. Zwischen den Bäumen meint sie das Flackern eines Feuers zu sehen. Erschöpft geht sie darauf zu. Sie gelangt zu einer kleinen Lichtung, auf der zwei Gestalten an einem Lagerfeuer sitzen. Eine ist kaum größer als sie. An den spitzen Ohren erkennt Mira, dass es ein Elf ist. Vielleicht ein Wasserelf? Die andere Gestalt dagegen ist ziemlich klein und zart. Sie trägt einen Mantel, weshalb Mira sich nicht sicher ist, was für ein Wesen es ist. Der Elf hat sie inzwischen bemerkt. Er winkt sie zu ihnen. Ohne zu fragen setzt Mira sich mit ans Feuer, sie friert. Aber sie sieht daran vorbei, um nicht wieder an das Furchtbare denken zu müssen. Aus der Nähe erkennt sie, dass die zweite Gestalt eine Fee ist, den weißen Haare nach zu schließen, eine Polarfee. Auch der Elf scheint nicht von hier zu kommen. Was machen sie hier?
„Hallo“, begrüßt der Elf sie, „ich heiße Lio und das“, er deutet auf die Fee, „ist Sila.“ „Ich bin Mira“, stellt sie sich vor. Eine Weile schweigen sie.
„Leben Polarfeen nicht eigentlich am Südpol?“, fragt Mira irgendwann. „Am Nordpol“, korrigierte Sila. Sie sagt nichts mehr und Mira fragt weiter: „Warum bist du dann hier?“ Die Fee senkt den Blick. „Ich bin hierhergekommen, um eine Lösung zu finden.“ Mira sieht sie neugierig an, drängt sie aber nicht. „Eine Lösung für die Eisbären.“ „Für die Eisbären?“ Sila nickt. „Weißt du, was der Klimawandel ist?“ Mira schüttelt den Kopf. „Also, auf der Erde wird es immer wärmer und wärmer. Daran ist ein bestimmtes Gas Schuld. Das kommt zum Beispiel aus den rollenden Blechkisten der Menschen. Das ist ein großes Problem, besonders für Eisbären. Die finden auch so schon wenig Futter im Sommer. Jetzt schmilzt noch mehr Eis und… und bald werden sie ver-verhungern!“, schluchzt sie. Tränen rinnen ihr über die Wangen. „Ich m-mach mir s-solche Sorgen!“ Lio legt tröstend den Arm um sie. Mira ist zutiefst erschrocken. Das ist ja schrecklich! Als sie sich erholt hat fragt sie Lio: „Bist du auch… deswegen hier?“ Zu ihrer Erleichterung schüttelt er den Kopf. Das Gefühl schwindet allerdings, als er weiterspricht. „Ich bin abgehauen. Hab´s zuhause nicht mehr ausgehalten, nachdem“, er zögert, „nachdem Odiea gestorben ist.“ Auf ihren Blick hin fügt noch hinzu: „Ein Delfin und mein bester Freund.“ „Das war bestimmt schlimm für dich.“ „Es ist schlimm“, meint Lio.
„…Wie ist er denn gestorben?“ Schlagartig weicht die Traurigkeit von Lios Gesicht. Seine Augen blitzen plötzlich vor Zorn. Unwillkürlich rückt Mira ein Stück zurück. „Er hat sich in einer Plastiktüte verfangen und ist erstickt, bevor ich ihn befreien konnte! Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass so etwas passiert, ich habe die Menschen damals schon gehasst!“, sagt er bitter. „Wieso machst du dir Sorgen, dass ausgerechnet sowas passiert? Das klingt ja, als würden tausende Tüten im Meer rumschwimmen“, versucht Mira einen Witz, um die Stimmung zu lockern. „Noch viel mehr. Und wenn es wenigstens nur die Tüten wären!“, ruft er. Ups, das ist fehlgeschlagen. „Es gibt sogar richtige Müllteppiche. Die sind riesig! Und sie werden immer größer! Wenn da ein Tier reinkommt, sind seine Überlebenschancen wahrscheinlich gleich null! Wenn die Menschen nur endlich aufhören würden, ihren Abfall in Flüsse und so zu werfen, nur, weil gerade mal kein Mülleimer vor ihrer Nase steht!“ Er klingt so wütend, als würde er jeden Menschen, den er trifft, sofort niederschlagen. Würde er wohl auch. Trotzdem fragt Mira verwirrt: „Wieso in Flüsse? Die sind doch nicht im Meer.“ „Klar, aber erstens sind da auch Tiere, denen das schadet und zweitens fließen die doch ins Meer! Und den Müll bringen sie mit!“ Sila stimmt ihm zu. Sie hat inzwischen aufgehört zu weinen. „Sogar bei mir zuhause sieht man ständig Plastik.“ Dann schweigen sie wieder. Mira ist echt schockiert. Es steht ja schlechter als schlecht für die Natur! Und alles nur wegen der Menschen. Nach einer Weile fragt Lio: „Und wieso bist du hier?“ Mira seufzt traurig. „Die Menschen haben meinen Wald abgebrannt.“ Sie merkt, wie ihr Tränen in die Augen treten. Lio nickt verständnisvoll. „Das machen die oft. Brandrodung. Danach pflanzen sie lauter gleiche Sachen, die sie essen wollen!“ Er ist immer noch wütend. „Menschen sind die mächtigsten Wesen, aber sie missbrauchen ihre Macht! Sie machen einfach, was ihnen gefällt, ohne auf Andere zu achten! Egoistisch ist noch untertrieben, um sie zu beschreiben!“ „Das klingt ja, als wären Menschen an allen Problemen Schuld“, merkt Mira, „gibt es nicht auch nette Menschen?“ Lio zuckt mit den Schultern, doch Sila antwortet, voller Hass. „Fast allen Menschen ist es egal, was sie anrichten! Und die meisten der anderen kümmert es zwar, aber sie sind zu faul und mitleidslos um tatsächlich etwas dagegen zu tun!“ Sie seufzt. „Wenn die Menschen uns nicht helfen, und ich bezweifle das sie das machen werden, sind wir verloren!“