Sieh Es, Fühl Es, Ändere Es

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Theresa Haidl, 22 Jahre

„Ich werde diese ganze Bagage dem Erdboden gleich machen!“ tobte Erik. „Alle, werde ich sie in ein Häufchen Asche verwandeln.“ Gehetzt lief er im Wohnzimmer auf und ab.
„Dann bist du nicht besser als sie“, fuhr Nadja ihn an. „Und wie willst du entscheiden, wer den Tod verdient hat und wer nicht?“
Erik blieb stehen und sah sie an.
„Ganz einfach, ich entscheide nach dem Ene mene muh Prinzip.“ Er zuckte die Achseln und lief weiter hin und her. Frustriert rieb ich mir die Schläfen.
„Wir können nicht einfach hergehen und die halbe Menschheit auslöschen“, erwiderte ich. „Wir haben unsere Kräfte nicht, um die Menschen zu bestrafen, sondern um die Erde zu heilen.“
„Emily, bei aller Liebe, seit Monaten versuchen wir die Erde zu heilen. Du säuberst die Meere, Nadja lässt die Natur nachwachsen und Marcus reinigt die Luft, aber anstatt dass sich eine Verbesserung zeigt, wird es meiner Meinung nach immer schlimmer.“ Er fuhr sich verzweifelt durch die Haare.
„Marcus sag du auch etwas dazu.“
Marcus, der die ganze Zeit über vor sich hingestarrt hatte, blickte auf.
„Ich gebe euch allen zu einem gewissen Teil Recht, aber ich sehe es wie Erik. Wir müssen handeln.“ Wir alle sahen Marcus überrascht an.
Erik jubelte. „Perfekt, wann darf ich anfangen?“ Marcus bedachte ihn mit einem Blick, als ob er übergeschnappt wäre.
„Ich meinte damit nicht, dass wir anfangen, Menschen einzuäschern, Erik. Nur dass wir unseren Mitmenschen begreiflich machen müssen, was die Konsequenzen sind“, erklärte er.
„Und wie stellen wir das an?“ fragte Nadja ehrlich neugierig.
„Ein gebranntes Kind scheut das Feuer“, zitierte er. „Wir müssen den Menschen zeigen, wie sich der Zustand der Erde verschlechtert. Bis jetzt haben sie nur Spekulationen oder Prognosen von Wissenschaftlern gelesen oder gehört. So etwas bleibt nicht im Gedächtnis. Sie müssen es sehen, und sie müssen es fühlen, damit sie begreifen.“
Wir starrten Marcus weiterhin verständnislos an.
„Eigentlich ist es relativ simpel. Wir erschaffen mit unserer Magie eine Halluzination, eine optische Täuschung, in der die Menschen sehen und vor allem fühlen, welche Veränderung die Erde in den Jahrzehnten durchmacht, wenn die Verschwendungssucht nicht aufhört.“
Kurz herrschte Stille, dann wandte ich ein.
„Sie werden nicht verstehen, was vor sich geht. Wie sollen wir ihnen verständlich machen, dass das was sie sehen und fühlen bald Wirklichkeit werden wird?“ Erik und Nadja nickten zustimmend.
„Ich werde meine Gabe des Windes benutzen, um unsere Botschaft über die Welt wehen zu lassen und sie so auf das Kommende vorbereiten“, erläuterte Marcus.
Ich ließ mir den Plan durch den Kopf gehen. Seit Tagen spekulierten wir schon, verwarfen einen Plan nach dem anderen und waren doch nicht auf einen gemeinsamen Nenner gekommen. Ich blickte auf und bemerkte, dass alle mich ansahen. „Dann steht es wohl fest.“ Ich stand auf und sah die anderen an. „Dann beginnen wir.“

Wir positionierten uns in den vier Himmelsrichtungen über der Erde. Marcus erklärte den Menschen gerade, was sie gleich erleben würden.
„Seid ihr bereit?“ fragte uns Marcus. Wir drei bejahten und fingen an. Ich spürte die gewaltige Magie von uns Vieren, als sich ein zarter Schleier, bunt wie ein Regenbogen, über die Welt zog.
Wir begannen vorsichtig in Zehnjahres-Schritten.
Ich sah alles wie in einem Fernsehen.
Die ersten dreißig Jahre vergingen relativ ereignislos, aber dann begann das Fiasko.
Alles kam ins Rollen mit dem Aussterben der Insekten, allen voran der Bienen. Dadurch zog sich die Natur weitestgehend zurück. Da auch der Regenwald fast gänzlich ausgerottet wurde, stieg das CO² weiter an. Durch die Erderwärmung schmolzen die restlichen Gletscher und Eisschichten, der Meeresspiegel stieg an, und das Meer wärmte sich weiter auf.
Die Unterwasserwelt starb langsam ab.
Gerade waren wir bei fünfzig Jahre angekommen, als die ersten Länder von den steigenden Wassermassen verschlungen wurden und die Menschen zu schreien, zu fliehen und zu betteln, wir sollen aufhören, begannen. Die Sonnenstrahlen wurden durch das schwindende Ozon immer heißer. Viele Tiere starben jetzt vollkommen aus. Durch das immer unbeständiger werdende Wetter traten immer häufiger Umweltkatastrophen auf. Hurrikans wurden von Flutwellen und Erdbeben begleitet. Nach fünfundsechzig Jahren waren Anbauflächen von Getreide und anderen Nahrungsquellen entweder überschwemmt oder verdorrt, wie auch die Süßwasserreservoirs.
Unten auf der Erde verfielen die Menschen in Panik. Sie schrien und weinten.
Das Leben wurde noch unerträglicher, als die Strahlen der Sonne anfingen, die Haut der Menschen zu verbrennen.
Nun endlich bei den hundert Jahren angekommen sah die Erde aus wie ein einziges Schlachtfeld.
Braun.
Leblos.
Unbewohnbar.
Tod!
Marcus erhob seine Stimme.
„Das, was ihr jetzt seht, das ist unsere Zukunft! Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird die Erde in hundert Jahren tot sein und wir mit ihr. Wir müssen endlich einsehen, dass wir nur ein Zuhause haben, eine Heimat, und die braucht unsere Hilfe, um gesund zu werden. Doch dieses Ziel können wir nur vereint erreichen, wenn wir als ein Volk zusammenarbeiten. Lasst uns alle an einem Strang ziehen und so die Welt für uns und unsere Nachkommen erhalten, damit auch sie noch eine Zukunft haben. Wir erwarten alle die helfen und etwas ändern wollen an unseren Lagern“, er wischte mit der Hand und eine Art Weltkarte erschien, mit den darauf gekennzeichneten Orten. 
„Wir geben euch drei Monate, dann werden wir euch mit dieser kranken Welt allein lassen.“
Wir beendeten die Halluzination.
Die Erde war wieder wie vorher.

Keine drei Monate vergingen, als Menschen aller Nationen, sogar viele Oberhäupter sich bei uns versammelten. Gemeinsam wurden Naturschutzgebiete besprochen und vergrößert, Pläne für Filter- und Schmutzfanganlagen entwickelt, aber auch Verbote und Strafen wurden festgesetzt.
Alles war noch recht chaotisch, aber langsam waren wir auf dem richtigen Weg.
Auf dem Weg in eine Zukunft.

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