Nie gesehen
Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Emmy, 17 Jahre
Die Sonne, sie geht langsam auf
in ihrem wunderschönen gleißenden Licht.
Ich wünschte ich könnte sie sehen
doch ich bekomme sie nie zu Gesicht.
Da ist nur der rötliche Strahl,
der durch den Schlitz der Hallentür fällt.
Wie schön muss es dahinter sein?
Wie schön muss sie sein, die Welt.
Stattdessen steh ich hier
mit ganz vielen anderen meiner Art.
Einige schreien vor Schmerz,
andere fressen den ganzen Tag.
Ich für meinen Teil
denke wieder nur an sie,
an meine Mutter
und frage mich: Warum sehe ich sie nie?
Das letzte Mal als wir uns sahen,
war ich noch ziemlich klein.
Dann verschwand sie in einem großen rollenden Kasten
und ich blieb hier allein.
Ich habe Hoffnung,
dass sie nun ein viel freieres Leben führt.
Auf einer Wiese grasen kann und viel Freiheit hat.
Ob mir solch ein Leben auch mal gebührt?
Da kommt er wieder, dieser Mann.
Jeden Morgen schaut er nach uns.
Er sieht dass wir fleißig fressen und sagt:
„Gute Arbeit Jungs!“
Er sagt, wir seien schon fast so weit.
Ohne zu wissen was er meint,
freue ich mich auf etwas Veränderung
und denke an meine Mutter: Sind wir bald wieder vereint?
Dann kommt er endlich,
der große Tag.
Die Hallentür öffnet sich.
Ich spüre meinen Herzschlag.
Da sehe ich ihn,
den großen rollenden Kasten,
wir werden in ihn hineingedrängt,
es bleibt keine Zeit zum heran tasten.
Es überkommt mich doch die Angst,
auch die anderen um mich herum schreien,
warum ging man mit uns immer so unsanft um?
Doch warten Wiesen jetzt auf mich, werde ich es ihnen verzeihen.
Die Fahrt dauert lang,
es geht den meisten nicht gut,
wir fühlen uns unwohl
doch der Gedanke an meine Mutter und die Freiheit macht mir Mut.
Der Kasten wird langsamer.
Die Aufregung steigt.
Die Enge findet gleich sein Ende,
wenn sich die Schönheit der Natur mir zeigt.
Doch als die Tür sich öffnet,
sieht alles so ganz anders aus.
Eine andere dunkle Halle
bäumt sich wie ein Monster vor uns auf.
Zögerlich betreten wir sie,
doch uns bleibt keine Wahl,
wir werden getrieben,
für die Menschen hier sind wir nur eine Zahl.
Und dann beginne ich zu begreifen.
Es ging nie darum uns ein schönes Leben zu schenken.
Unser Leben wird hier sein Ende finden,
an uns ist dann nicht mehr zu denken.
Für die Menschen sind wir keine lebenden Individuen,
wir sind nur zum Essen da.
Doch dass in unserer Brust ein Herz schlägt,
ist in euren Köpfen eher rar.
Nun soll ich sterben,
um für den Menschen eine Mahlzeit zu sein.
Hab mein ganzes Leben nichts Schönes gesehen,
wurde nur in Enge gehalten, ist das nicht gemein?
Wir Tiere haben auch Gefühle,
wollen leben, so wie du.
Wollen nicht für euch sterben,
bitte schau nicht einfach zu.
Für mich ist es jetzt zu spät,
sehe nur noch rot.
Das hier ist Alltag, für tausende Tiere jeden Tag
und er endet mit dem Tod.
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Autorin / Autor: Emmy, 17 Jahre