Wunderwerk

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Nina Estler, 16 Jahre

Der weiche Sand rieselte durch ihre Hände. Sie spürte jedes noch so feine Sandkorn zwischen ihren Fingern und unter ihren Füßen. Ein sanftes Rauschen des Meeres nahm sie im Hintergrund wahr. Welle für Welle überschlug sich zart an dem Menschen überfüllten Strand an der Küste der Arabischen Emirate. Sie öffnete ihre dunklen, fast schon schwarzen Augen und setzte sich auf. Nun konnte sie auch die Geräusche, die sie wahrgenommen hatte, Bildern zuordnen: Dort drüben rannten zwei kleine Jungs um die Wette, eine Mutter nahm ihr Kind an die Hand und lief mit ihm langsam an mir vorbei in Richtung Meer, eine Gruppe Jugendlicher spielte Volleyball und eine schlanke Frau joggte am Wasser entlang. Amina gefiel es hier, an diesem überfüllten Touristentreff, überhaupt nicht und schaute sich nach einem etwas ruhigerem Platz um. Sie entdeckte nicht weit weg eine einsame Steinformation. Amina stand auf, befreite sich von dem Sand, der nun doch nicht so fein und sauber aussah, wie er sich gerade noch angefühlt hatte, und lief mit ihrem Handtuch in Richtung der Steine, vorbei an gaffenden Jungs und ihr aus dem Weg gehenden Müttern mit ihren kleinen Kindern. Amina fühlte sich unwohl in ihrer Haut. Schützend vor den Blicken der Leute schlang sie ihr Handtuch um ihren Körper und verdeckte somit einen Großteil ihrer karamellfarbenen Haut. Je weiter sie sich von der Menschenmasse entfernte, desto ruhiger wurde es und desto sicherer fühlte sie sich. Nun waren die Steinformationen kein Versteck mehr vor dem hohen Geräuschpegel, sondern vor den Menschen, die diesen verursachten. Amina legte ihr Handtuch noch nicht ab, stattdessen lief sie in sich gekehrt durch die hohen Steine.

Schritt für Schritt näherte sie sich dem Wasser. Mit jedem Schritt konnte sie das Rauschen des Meeres klarer hören. Sie blieb stehen und ließ das salzige Wasser ihre Zehen fluten. Ein wohliges Gefühl kam in ihr auf und stärkte sie.
Mit der nächsten Welle wurde etwas Glitschiges angespült und streifte ihren Fuß. Amina öffnete ihre Augen in der Befürchtung es sei eine Qualle. Ewas durchsichtiges schwamm anmutig im Wasser, keine Qualle. Amina fischte eine durchsichtige Plastiktüte aus dem Wasser. Sie sah sich um, ob noch mehr davon im Meer herumschwamm. Ein paar Schritte weiter trat sie auf etwas Scharfes. Schnell hob sie ihren Fuß an und entdeckte eine kleine Glasscherbe glänzend im Sand liegen. Amina setzte sich auf einen flachen Stein, um die kleine Schnittwunde nicht mit Sand zu verschmutzen. Es brannte ein wenig, doch was viel mehr wehtat war der Gedanke, der in ihr aufkam. Irgendwo da draußen schwamm viel mehr Müll herum und niemand an diesem Strand interessierte das. Alle spielten, rannten und schwammen, sie nutzen den Raum, der ihnen von der Erde zur Verfügung gestellt wurde, und wie dankten sie ihr dafür? Amina seufzte.

Die Menschen versuchten die Natur mit Natur zu bekämpfen und sie merkten es noch nicht einmal. Eine Träne rann aus ihrem Augenwinkel und tropfte auf die Plastiktüte, die sie noch immer in der Hand hielt.
„Alles in Ordnung bei dir?“, hörte Amina jemanden fragen. Langsam drehte sie sich um und sah einen Jungen, ungefähr in ihrem Alter, zwischen den Steinen hervortreten. „Ja alles in Ordnung!“, antwortete sie und wischte sich ihre Tränen aus dem Gesicht. Doch er ließ sich davon nicht abwimmeln. Er setzte sich zu ihr: „Ich bin Domenic und du?“, fragte er. „Ich heiße Amina“, sagte sie und versuchte ein Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern. „Was machst du da mit der Plastiktüte?“ „Ich habe sie aus dem Wasser geholt. Sie schwamm da so rum und bestimmt schwimmt da draußen noch viel mehr davon.“ Domenic und Amina schauten auf das Meer und hörten die Wellen gegen die Steine schlagen. „Was denkst du will uns das Meer gerade sagen?“, fragte Amina nach einer Weile. Domenic schaute sie verdutzt an. „Was meinst du?“ „Naja hast du nicht auch manchmal das Gefühl, dass uns die Natur etwas sagen möchte?“ „Du meinst, wenn mal wieder vom Klimawandel gefaselt wird, neue Nachrichten über Überschwemmungen und Hungersnöte berichten und darauf aufmerksam gemacht wird, wie kaputt unsere Erde eigentlich schon ist? Ja, das Gefühl kenn ich.“

Eine große Wassermenge kam auf sie zu und spülte das salzige Wasser in die Wunde. Amina verzog das Gesicht, während sie ihren Fuß schnell aus dem Wasser zog. Domenic bemerkte die blutige Stelle. „Darf ich mal sehen?“ Sie nickte. Er sah sich kurz ihre Fußsohle an, bevor er sie mit seinem salzwassergetränkten Handtuch säuberte. „Das Wasser wirkt desinfizierend.“, erklärte Domenic. Zum Schluss wickelte er noch ein Blatt Seetang um Aminas Fuß, damit kein Sand mehr in die Wunde gelangen konnte. „Danke!“ Er setzte sich wieder neben sie. „Woher weißt du, wie man so etwas macht?“, fragte Amina. „Meine Eltern haben es mir gezeigt.“ Amina sah ihn verwirrt an. „Sie kennen solche Tricks, weil sie versuchen die Welt bewohnbar zu hinterlassen, also verursachen sie so wenig wie möglich Müll und verwenden ausschließlich natürliche Materialien.“ „Und wie stellen sie das an?“, fragte sie neugierig. „Gemeinsam mit vielen anderen Menschen machen sie ganz viele Projekte, um zum Beispiel die Meere sauber zu halten oder unberührte Natur auch weiterhin unberührt zu lassen. Du glaubst aber nicht wie viele Probleme es dabei gibt.“ „Was denn für Probleme?“ „Naja, stell dir vor, ungefähr fünfhundert Menschen versuchen die Erde zu einem besseren Ort zu machen, der sowieso schon viel zu kaputt ist, um alles bisher geschehene rückgängig zu machen, während 7 Milliarden Andere so weitermachen wie bisher.“ Einen Moment lang sagte keiner der Beiden etwas.
Amina senkte nachdenklich ihren Blick. Dabei entdeckte sie eine kleine geschwungene Muschel neben dem Stein liegen, auf dem sie saßen. Sie hob die Muschel auf und betrachtete sie genauer. „Schau mal!“, sagte Amina. „So ein kleines Wunderwerk!“

Mehr Infos zum Schreibwettbewerb