Störsender

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Anika Nitsch, 21 Jahre

Krrrrk …
Ein Geräusch wie von einem Störsender schallt durch meinen Kopf, als sich einer meiner Freunde lachend einen Kaugummi in den Mund schiebt, die Verpackung zusammenknüllt und sie anschließend achtlos auf den laubbedeckten Waldboden wirft.

Krrrrk macht es wieder, doch nur in meinem Kopf ertönt das Warnsignal. Ich selbst bleibe stumm und sage nichts dazu.

Wenn der Kaugummi seinen Geschmack nach künstlichem Pfefferminz-Aroma verliert, wird er ihn auf die gleiche Weise entsorgen wie die silbrige Hülle, in die er eingewickelt war.

„Was ist?“, fragt Janis mich kauend.
Das ist falsch, denke ich und schüttele den Kopf. „Nichts, war nur in Gedanken“, murmele ich.
Wir gehen weiter. Laufen über die plattgetretenen Wege, umgeben von hohen Bäumen, deren Blätter die fröhlich bunten Farben des Herbstes angenommen haben.
Während unserer Pause auf dem Aussichtspunkt sitze ich neben Mia und mühe mich mit dem Knoten meiner Plastiktüte ab, in der sich mein Brötchen befindet.
Krrrrk… Ich hatte meiner Mutter gesagt, ich will keine Tüte, sondern meine Metalldose, aber sie hat es vergessen. Es war ihr nicht wichtig.
Meine beiden Freunde vertiefen sich in ihr Gespräch über irgendeinen Film, der bald ins Kino kommt.
Ich gehe ein paar Schritte von ihnen weg… Es kommt selten vor, aber manchmal bricht sie in meine Gedanken – die Realität. Wir sehen es nicht und hören es nicht, denn jeder von uns steckt in seinem Leben fest. Mit unseren Sinnen lässt sich nicht wahrnehmen, dass die Welt, die wir bewohnen, durch unser Dasein leidet wie unter einer Krankheit. Und wir sind die Erreger, die sie kaputt machen. Es gibt Daten, Statistiken, unverkennbare Veränderungen, welche sich in jeder Generation fortsetzen, jedoch übersehen wir diese Fakten immer wieder aufs Neue. Wir existieren in unserem eigenen undurchdringlichen Kosmos, in dem wir uns der Gesellschaft anpassen und zu wenige Gedanken an die Zukunft unserer Welt verschwenden.
Meine Hand zittert leicht, als ich sie auf die kalte Steinmauer lege und gedankenverloren den vielen Unebenheiten folge.
Der Fortschritt in allen Dingen macht unser Leben einfacher, bequemer – es ist leichter, nicht nachzudenken. Was interessiert es uns eigentlich, was hat das Ganze mit uns zu tun? Die Verschmutzung, der drohende Untergang von allem, was war. Wir werden es nicht mehr erleben.
Ich sehe zu Janis und Mia, sehe, wie sie aus ihren Einwegflaschen trinken und einen Schokoriegel essen, von denen jeder einzeln in einer knisternden Verpackung steckt. Plastik. Kakao, der weit entfernt auf einem anderen Kontinent für unseren Genuss angebaut wird.
Krrrrk … Ich fasse mir an den Kopf, versuche dieses Geräusch loszuwerden.
Ich schaue erneut zu meinen Freunden, wundere mich erneut, wie sorglos sie sind, wünschte, ich könnte im Hier und Jetzt bleiben und einfach genießen.
Ich wünschte, ich würde nicht mehr über alle Handlungen der Menschen in meiner Umgebung urteilen, denn… in Wahrheit… bin ich nicht besser als sie. Das ist das Schlimmste daran.
Ich habe meine Metalldose und meine Metallflasche und fahre mit dem Fahrrad zur Arbeit. Doch wenn man es genau nimmt, tue ich diese Dinge, um mein Gewissen zu beruhigen, um später sagen zu können, es ist nicht meine Schuld.
Krrrrk
Wenn ich jetzt einen Spiegel vor mir hätte, könnte ich darin meine geschminkten Augen sehen. Die Wimperntusche, das Make-up. Plastik. Chemie. Den Kajal. Holz.
Krrrrk
Der Moment der Realität dauert an und dauert an, der Störsender holt mich aus meinem gemütlichen Kosmos. Die Realität verschwindet nicht, lässt mich hinabblicken auf meine bequemen Wanderschuhe mit der Gummisohle und den schwarzen Schnürsenkeln. Auf meine geliebten Jeans, wegen deren Herstellung Leute sterben; auf meine Regenjacke. Plastik.
Krrrrk
„Liz, kommst du?“ Mia und Janis warten bereits auf mich, ihre Rucksäcke auf den Rücken.
Ich nicke und schnappe mir meinen eigenen Rucksack. Mia hakt sich bei mir unter. „Geht es dir gut, Liz? Du bist heute so still.“
Ich winke ab. „Alles gut, bin nur ein bisschen müde.“
Mit dieser Antwort geben sie sich zufrieden. Sie merken nicht, was in mir vorgeht. Eingehüllt in ihren Kosmos.
Unterwegs schmeißt Janis seinen zweiten Kaugummi ins Gebüsch.
Krrrrk
In meinem Kopf dreht sich alles, aber ich laufe weiter, verhalte mich normal, und als wir am Parkplatz ankommen, zieht sich langsam die Realität aus meinen Gedanken zurück und ich steige erleichtert ins Auto.
Krrrrk macht es, als der Motor anspringt, doch ich ignoriere den Störsender, ignoriere die Botschaft der erkrankten Welt. Warum ich das tue?

Weil es bequemer ist.

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Autorin / Autor: Anika Nitsch, 21 Jahre