Galopp bis zum Ende
Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Emilia Drago, 12 Jahre
Meine Beine schmerzen, als ich über die Rennbahn presche. Die anderen Pferde um mich herum schnauben und schwitzen genauso wie ich. Ich spüre ihre Anstrengung und ihre Panik. Ich galoppiere noch schneller, als ich einen schmerzhaften Schlag auf meinem Hinterteil spüre. Ich galoppiere ganz vorne. Als ich eine weiße Linie überquere, ertönt ein Pfiff und die vielen Zweibeiner auf den Tribünen erheben sich und applaudieren. Mein Reiter hält mich an, sofort kommen mehrere Männer auf uns zu gerannt und umringen uns. In dem Moment geben meine Beine nach und ich stürze zitternd zu Boden. Ein Mann in einem weißen Kittel kommt auf mich zugelaufen. Er sticht mir etwas Spitzes in die Seite, gegen das ich mich noch nicht einmal mehr wehren kann. Dann sinke ich langsam in die Welt der Träume.
Das nächste, was ich fühle, ist, dass ich auf Stroh liege und es angenehm ruhig ist. Als ich mich langsam mit zitternden Beinen aufrichte, sehe ich, dass ich in meiner Box stehe. Die Pferde in den anderen Boxen fressen seelenruhig ihr Heu und bemerken gar nicht, dass ich wieder wach bin. Ich beginne mein Heu zu fressen und genieße die ruhigen Stunden, in denen ich nicht galoppieren muss. Am Abend kommt ein Mann mit einem Koffer unter dem Arm zu mir und untersucht mich. Dann sagt er zu meinem Reiter, der vor mir steht und mich mustert: „Sie ist gesund. Es war nur ein Schwächeanfall. Das ist nicht verwunderlich bei der Arbeit, die die armen Tiere leisten müssen.“
Ein paar Wochen nach meinem Schwächeanfall werde ich wieder in die Startbox gezerrt. Ich wehre mich nach Leibeskräften. Die Pferde rechts und links von mir haben genau die gleiche Angst vor den Startboxen wie ich. Sie scheuen und steigen. Als ich gewaltsam von fünf Zweibeinern in die Box gezerrt werde, bin ich schon schweißüberströmt. Der Startschuss ertönt und die Boxen öffnen sich. Alle Pferde rennen los. Doch ich bin noch nicht vorbereitet. Mein Jockey schlägt mit der Peitsche zweimal hart auf mich ein. Ich beginne zu galoppieren so schnell ich kann - aus Angst noch einmal geschlagen zu werden. Als ich das hinterste Pferd erreiche, komme ich kurz ins Stolpern, kann mich aber noch fangen. Ich galoppiere mit einer Geschwindigkeit, die ich nicht lange werde durchhalten können. Und dann geschieht vieles auf einmal: Ich stürze und knalle hart auf den Boden. Mein Bein ist in einem ungesunden Winkel von mir abgespreizt. Ein greller Schmerz durchzuckt mich. Ich spüre einen Drang, von diesem Ort zu flüchten, doch ich kann nicht, so sehr ich mich auch anstrenge. Mein Reiter sieht mich kalt an. Mit dem letzten Rest meiner Kräfte ziehe ich mich hoch. Mein linkes Vorderbein kann ich nicht mehr benutzen. Panisch und schmerzerfüllt versuche ich auf drei Beinen vor der Frau zu flüchten, die auf mich zu gerannt kommt. Mein Reiter packt mich an den Zügeln und zieht mich rücksichtslos an den Rand der Rennbahn. Die Frau kommt auf mich zugelaufen, untersucht kurz mein Bein und sagt dann emotionslos: „Einschläfern. Bein gebrochen. Unnütz!“ Mein Reiter nickt nur. Die Frau zieht etwas Langes und Spitzes aus ihrem Koffer und sticht es mir in den Hals. Ich wiehere und schlage um mich, doch im gleichen Moment geben meine Beine unter mir nach, ich stürze zu Boden und spüre nichts mehr.
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