Vogelperspektive
Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Felix Beinssen, 16 Jahre
Amet kletterte unter großer Anstrengung den Berg hinauf. Er war schweißgebadet und keuchte laut. Selbst nach all den Jahren hatte sich sein Körper einfach nicht an diese Hitze gewöhnt. Er selbst bezweifelt sogar, dass es jemals geschehen würde. Amet war ein Wintermensch. Er war in den kalten Jahren geboren worden, hatte seine ganze Jugend in diesen verbracht, aber so konnte es eben nicht auf ewig bleiben. Als der Sommer kam, wurde alles zu Staub. Wälder fackelten ab und die Gletscher wichen eben solchen Berge, wie jenen, den Amet nun erklimmen musste.
Nach einer Weile war der junge Mann oben angekommen und konnte einen Moment durchatmen, bevor er schnell weitermusste. Gehetzt schaute er sich nach hinten um, als würde er nach einem Verfolger Ausschau halten. Doch da war niemand. Generell war es sehr unwahrscheinlich, dass sich irgendein anderer Mensch im nächsten Umfeld Amets aufhalten würde. Er lief durch das gefährlichste Gebiet der ganzen Erde. Auf einer Welt, die im Allgemeinen nicht gerade lebensfreundlich war, bedeutete das ziemlich viel.
Noch einige wenige Kilometer und Amet würde dort ankommen, wo er hinwollte. Mit seinem zerschlissenen Hemd wischte er sich langsam den Schweiß von der Stirn und nahm einen kleinen Schluck aus einer fast leeren Flasche. Er musste die Strecke so schnell wie möglich hinter sich bringen, denn sobald die Sonne ihren Zenit erreicht hatte, verringerten sich seine Chancen zu überleben gewaltig. Noch war die Sonne einige Stunden davon entfernt, allerdings bezweifelte Amet, dass er schneller als dieser gnadenlose, nie stoppende Gegner sein würde. Auf seiner weiten Reise hatte er bereits Opfer aufbringen müssen. Sein Pferd hatte er mangels Nahrung vor drei Tagen verspeist. Sein Menschenleben ging dem des Tieres vor. Zwar war er ohne zu reiten viel langsamer vorangekommen, aber zumindest war er nicht verhungert.
Als Amet den Berg auf der anderen Seite wieder herunterlaufen wollte, bröckelte der Boden unter seinen Sandalen weg und er rutschte aus. Unter ihm bildete sich eine kleine Lawine aus Geröll und Sand und landete auf einer kleinen Gruppe von vertrockneten Kakteen. Die frühere Halbwüste war mittlerweile zu einer ganzen geworden und hatte selbst das letzte, resistenteste Leben dahingerafft.
Amet, der durch das Ausrutschen den Halt verloren hatte, stürzte kopfüber mit hinunter. Im Fallen schlug er sich an einem Stein den Kopf auf und das Leben verschwand aus seinen Augen. Ein paar Meter rollte er noch, dann blieb er regungslos liegen. Seine Schädeldecke war eingeschlagen, er blutete an mehreren Stellen.
Ein Adler, der alles von hoch oben beobachtet hatte, wechselte äußerst geschickt in den Sturzflug und flog herab zum Toten, um ein bisschen Nahrung zu erlangen. Nachdem die Flüsse leer von Fischen waren und fast alle schwächeren Tierarten ausgestorben waren, hatten die übrig gebliebenen damit begonnen, auch auf Menschen, trotz ihres faden Fleischs, Jagd zu machen. So war nicht einmal das gefährlichste je entstandene Lebewesen wirklich in Sicherheit.
Der große Vogel nahm ein paar Bissen und startete dann wieder hinauf in die Lüfte. Sein Körper war abgemagert und das Federkleid völlig ausgetrocknet. Er zog immer weiter seine Kreise über der Wüste und ließ sich auch noch einige Male zu anderen vermeintlichen Nahrungsquellen fallen. Die meisten waren jedoch keine. Das alles tat er, bis die Turbine eines Flugzeuges seinen Körper zerrisse und im ganzen Umfeld verteilte. Das Blut vermischte sich mit den Abgasen, die unaufhörlich aus der Maschine strömten.
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Autorin / Autor: Felix Beinssen, 16 Jahre