Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Aria H. Dorn, 16 Jahre
Hustend atme ich die staubige Luft ein. Obwohl ich mich bereits über die Jahre daran gewöhnt habe, kann ich diesen Reiz manchmal nicht unterdrücken. „Alles in Ordnung?“, vergewissert sich Byron neben mir. Ich nicke. Natürlich nicke ich. Und natürlich weiß ich, dass diese Antwort nicht der Wahrheit entspricht. Byron weiß das sicherlich auch, aber er sagt nichts, und dafür bin ich ihm dankbar, denn sonst wäre ich in Tränen ausgebrochen. So hingegen dränge ich den Schmerz in meiner Brust beiseite, doch es fällt mir unendlich schwer.
Hier werde ich immer wieder aufs Neue an ihn erinnert, sobald ich aufschaue. Selbst nach zwanzig Jahren noch. Die Verwüstung um mich herum. Die Berge an Dreck, Schmutz, Müll. Der beißende Gestank in der Luft. Der Schmutzfilm, der unsere Schutzanzüge bedeckt. Das alles... Schnell setze ich meine Atemmaske wieder auf - der Gestank macht mich in jeder Hinsicht krank. Selbst mit dem Sauerstofffilter im Helm schmecke ich das Benzin auf meiner Zunge. Bitter. Widerlich. Es schmeckt nach Krankheit, nach Verwesung. Ich schlucke. Wir haben sie zerstört. Unsere Erde, unsere Heimat. Den Planeten - und die Menschen. Haben uns selbst keine andere Wahl gelassen, als zu verschwinden. Doch nun bin ich wieder zurückgekehrt. Mit Byron. Ich wühle mich durch die Schrottberge, durch verpestete Luft und Schutt. Das, was einmal Natur war - begraben unter Müll. Manchmal kann man noch die Strukturen von Häusern erahnen, an Stellen, an denen Ziegel den aschgrauen Boden bedecken und eine verwahrloste Tür, die dem Brand getrotzt hat, aus dem Boden ragt, als wäre alles noch normal, heil. Als wäre sie noch von Nutzen. Doch hier muss niemand mehr klingeln, bevor er eintritt. Hier wartet keiner mehr. All die Erinnerungen nun verschwunden im trostlosen Meer des Abfalls.
Ich erwische mich selbst immer wieder dabei, wie ich hoffe, träume, mir ausmale, das alles sei nicht echt. Für einen Augenblick nur sehe ich grüne Wälder vor meinen Augen, schmecke die Meeresbrise, unschuldig, ungiftig. Aber sobald meine Füße über einen Körper stolpern, verbrannte Glieder, ein Widerschein des verflossenen Lebens, werde ich aus meiner Traumwelt gerissen. Ein weiteres Paar leerer Augenhöhlen starrt mich an, brennt sich, wie die unzähligen anderen zuvor, in meine Netzhaut. Ich strauchle, huste aus Reflex, bis ich Byrons starken Griff um meine Taille spüre. „Ruhig, ganz ruhig“, flüstert er mir zu. Er weiß, was ich durchgemacht habe. Er weiß, warum ich hier bin. Er weiß von meinem Bruder. Sechs Jahre alt.
„Kommt mit!“, rief ich ungeduldig. Er zog einen Schmollmund. „Aber ich will noch spielen!“, quengelte er. Er ahnte nicht, wie gefährlich die Situation war, spürte nicht, wie ich, die Hitze des nahenden Feuers, ein unangenehmes Prickeln auf der Haut. „Komm mit!“, befahl ich noch einmal, diesmal heftiger, doch meine Stimme glitt bereits ins Weinerliche ab. „Nein! Ich will spielen!“ Er wollte nicht verstehen. „Doch, du kommst jetzt mit! Siehst du denn nicht, was hier los ist? Siehst du denn nicht, dass wir fort müssen? Jetzt komm, und beeil dich!“ Damit wand ich mich ab, in der Hoffnung, er würde mir folgen. Er tat es nicht. Ich rannte und rannte, stolperte blind durch den Ruß, der ganze Wald stand nun in Flammen. Schreie, die neben den Funken die Dunkelheit der Nacht zerrissen. Ich wurde gegen andere Körper geschubst, Panik brach aus, jeder versuchte, so schnell wie möglich den Waldrand zu erreichen. Keuchend schloss ich mich den Menschenmassen an, die alle auf unsere letzte Rettung zustürmten: das Raumschiff. Hinter mir fingen nun auch die letzten Äste Feuer, krachten lichterloh zu Boden und versperrten den Leuten hinter mir den Weg. Alles war bedeckt mit Blut. Ich warf einen hektischen Blick zurück und Grauen erfasste mich, als ich direkt in die toten Augen einer Frau starrte. Ihr Genick war von einem heruntergefallenen Ast gebrochen worden und frischer Eiter quoll noch immer aus den unzähligen aufgeplatzten Brandblasen, die ihre Arme bedeckten. Ich musste würgen, doch als mich jemand an der Schulter rempelte, wurde ich aus meiner Starre gerissen und setzte mich wieder in Bewegung. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie, aber irgendwie habe ich es tatsächlich noch in Sicherheit geschafft.
Erst, als das Raumschiff bereits gestartet war, als ich meine Nase gegen die Scheibe presste und auf die Verwüstung hinabblickte, die wir Menschen auf der Erde hinterlassen hatten, die Feuerzunge, die im aufsteigenden Rauch kaum noch zu erkennen war, erst da bemerkte ich, dass ich ihn zurückgelassen hatte. Und erst dann brach das richtige Chaos aus.
Ich schlucke, zwinge mich, meinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen und die Bilder zusammen mit dem Gestank des Rauchs aus meinen Gedanken zu vertreiben. „Es ist alles gut, Mary. Beruhige dich. Noch gibt es Hoffnung, noch leben wir. Deswegen bist du doch hier, Mary, ich weiß es. Du glaubst daran, dass wir es schaffen können.“ Ich nicke, unfähig, zu sprechen. Der Druck der Schuld lastet noch zu sehr auf meinen Schultern. Nach all den Jahren... Byron hat Recht. Wir können es besser machen. Ich glaube daran. Nie wieder, denke ich mir, als ich meinen Blick über die zerstörte Natur schweifen lasse, als meine Augen an den Skeletten, die den Boden bedecken, hängen bleiben. Ich bin es ihm schuldig. Ich bin es meinem kleinen Bruder schuldig. Ich werde das alles hier besser machen, versprochen. Ich werde denselben Fehler nicht noch einmal begehen. Entschlossen richte ich mich auf und befreie mich aus Byrons Griff. „Alles okay?“ „Ja“, entgegne ich mit fester Stimme, „Lass uns beginnen.“ Er nickt, ein Lächeln auf den Lippen, als er in der Tasche seines Schutzanzuges kramt und mir schließlich etwas in die Hand drückt. „Hier, du zuerst.“ Ich schaue in meine Handfläche hinab, den kleinen Samen, der nun in ihr ruht. Neues Leben. Fast andächtig nehme ich meinen Schutzhelm ab, trete einen Schritt vor und pflanze den Samen vor der standhaften Tür in den Boden. Der erste Schritt in eine bessere Zukunft.