Blau schließt mich ein, wie eine Gebärmutter den Embryo.
Blau über mir, Blau neben mir, Blau unter mir.
Wabern und flimmern, schwanken und schwirren und mir wird übel dabei, das Wasser treibt mich mit sich und ich bin zu kraftlos, dagegen anzukämpfen. Ich treibe weg von zuhause, weg von den Orten die ich seit meiner Kindheit kenne und ich kann nichts dagegen tun.
Ich bin ein Embryo im Bauch der Welt. Die Erde ist hochschwanger, was auch immer in ihr heranwächst, will hinaus, sich befreien, mit den scharfen Krallen die Bauchdecke zerschlitzen und hinaus ins Licht.
Ich bin ein Embryo im Fruchtwasser des Meeres im riesigen Bauch der Welt.
Und ich will nicht hinaus. Ich will hier bleiben, ich weiß, dass das was mir unmittelbar bevorsteht, nicht der Anfang eines neuen Lebens ist sondern das Ende. Das Ende von allem.
Das feinmaschige Netz, das meinen kraftlosen Körper umschließt und mit jedem Ruck mehr in meine dünne Haut schneidet, scheint sich der Wasseroberfläche zu nähern, es wird hell um mich herum und als ich, mit einem ohrenbetäubenden Rauschen die Wasseroberfläche durchbreche, weicht Blau, gleißend weißem Sonnenlicht. Das Gewicht meiner selbst, lastet unnatürlich schwer auf mir, die plötzliche Masse, die mein Körper darstellt, drückt mich hinab, als wolle die Schwerkraft ebenso, dass ich zurückkehre, GEH, brüllt sie, DAS IST NICHT DEIN PLATZ, GEH ENDLICH. Ich würde so gern. Doch das scharfe Netz frisst sich immer tiefer in meine Haut und schwankt, ich werde hin und her geworfen, wir schaukeln hin und her und dann, mit einem unerwarteten Ruck, fällt mein Körper und ich erwarte schon wieder das wohlige Blau, das meine Rettung sein könnte, doch kein Blau nimmt mich in Empfang, kein Blau schließt seine Arme um sich wie die Mutter den verloren geglaubten Sohn, nein, keine über meinem Kopf zusammenschlagenden Wellen, nein. Schmerz durchzuckt mich als ich auf den Boden schlage, ich brauche einen Moment, bis ich verstehe, dass das laute Krachen zu mir gehört, dass es mein Körper war, der auf etwas Hartes geprallt ist. Ich habe nie einen derartigen Laut vernommen.
Ich blinzle und als sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt haben, erkenne ich schemenhafte Gesichter, die sich über mich beugen, erstaunte Laute von sich geben.
"Seht nur", sagen sie und "oh" und "ah" und ich liege da, hilflos und spüre, wie ich keine Luft mehr bekomme, wie sich meine Kiemen verzweifelt weiten, die messerschlitzartig an den Seiten meines Halses sitzen, aber kein Wasser finden, weit und breit.
Die Gesichter über mir merken dies nicht. Sie lachen und freuen sich, eines spricht in ein kleines Kästchen.
Über mir entdecke ich Blau. Viel Blau. Hoffnung packt mich. Ich recke mich dem riesigen Ozean, der dort in der Höhe prangt, entgegen, er kommt näher, ich tauche ein und kann endlich wieder atmen.
Eine Liege wird in das Labor der Ocience Institution, Scotland, geschoben. Männer und Frauen in weißen Kitteln eilen herbei, sie können es kaum erwarten, den Fund zu betrachten. Das weiße Laken, dass den zarten, leblosen Körper bedeckt, wird beiseite geschoben. Glitzernde Schuppen kommen zum Vorschein und – ein menschlicher Oberkörper.
Wissende Forscherblicke begegnen sich. "Es stimmt also", sagt man leise, "es wurde also eine Meerjungfrau entdeckt, an der Küste Schottlands."
"Nicht entdeckt. Gefangen. Und wir haben die Ehre, sie als erstes zu erforschen."
Am Abend klirren die Sektgläser, man stößt an, auf die kommenden Erkenntnisse.
Und droben im Blau des Himmels, schwimmt etwas und hat bereits erkannt.