Ich musste nicht einmal mein Ohr an die Tür legen, um etwas zu verstehen, so laut brüllte mein egozentrischer Vater, Präsident einer der einflussreichsten Unternehmen weltweit, durch sein pompöses, riesiges Arbeitszimmer.
„So kann es auf keinen Fall weitergehen, Nikolas!“ hörte ich, ohne es hören zu wollen. Nikolas, sein ziemlich zerstreuter Sekretär, wusste daraufhin keine Antwort und es herrschte Stille hinter der Tür. Ich, und die beiden im Arbeitszimmer wahrscheinlich auch, wussten, was das bedeutete. Den benachteiligten Menschen, die im Müll der anderen förmlich ertranken, wird nicht geholfen werden.
Wut braute sich in mir zusammen, als ich vor meinem geistigen Auge die vielen Menschen sah, die so leben mussten, weil sie keine andere Wahl hatten. Wut auf meinen Vater, der genau wusste, was zu tun war, aber viel zu egoistisch, um auch nur irgendetwas an dieser Situation zu verändern. Wut auf ihn und alle Menschen wie er, weil niemand etwas dagegen unternahm, und auf mich selber, weil ich hier nur blöd rumstand, weil ich hier war und nicht dort, um zu helfen, weil ich die Initiative auch nicht ergriff.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten und bohrte die Fingernägel in meine Handflächen, bis es wehtat, um die Kontrolle über meinen Ärger zu behalten. Es ist nicht das erste Mal, dass ich mit mir ringe, etwas zu unternehmen, aber es wird auf jeden Fall das letzte Mal sein. Zum einen, weil ich diese Weltsituation unausstehlich finde und zum anderen, weil ich nicht so sein will wie mein Vater, der Präsident, und den anderen, die zu viel versprechen und selten etwas davon halten.
Ohne dass ich es kontrollieren konnte, fing ich plötzlich an zu laufen und ohne es geplant zu haben, raste ich die unzähligen Treppen hinauf in mein Zimmer. Ich packte all die teuren, neuen, teils nie getragenen Kleidungsstücke aus meinem prall gefüllten Kleiderschrank, bis auf wenige Ausnahmen, ein. Es waren Unmengen. Dann lief ich in die Küche und füllte einige Tüten mit Lebensmitteln, so viel, wie ich eben tragen konnte, ging zum Auto, packte alles ein und fuhr los.
Nachdem ich eine Weile gefahren war, sah ich aus dem Fenster meines kleinen grauen Smarts Ansammlungen, fast Berge von Müll, bestehend aus Plastikteilen, verderblichen Lebensmittelresten, Verpackungen und zerfetzten Stoffteilen. Ein Schauer lief mir über den gesamten Rücken und ich bekam eine Gänsehaut. Ich fuhr langsam weiter und beäugte die Menschen draußen, die entweder etwas abwuschen oder dreckige Plastiktüten, die mit Abfall gefüllt waren, schleppten. Als ich mit meinem kleinen Auto an einem ihrer Lager ankam, stockte mir der Atem. Ich glaubte nicht, was ich dort sah. Die Menschen lebten und schliefen unter Tüchern, die an Eisenstangen gespannt waren, eng nebeneinander gepresst. Ich sah Frauen und Kinder, die mit kurzen grauen oder braunen T-Shirts und Hosen bekleidet waren. Sie sahen grauenvoll aus und ziemlich verschmutzt noch dazu.
Plötzlich starrten mich zwei große blaue Augen an. Sie stammten von einem kleinen Mädchen mit langen schwarzen Haaren. Sie würde schön aussehen, hätte sie nicht überall Dreck im Gesicht und an ihrer Kleidung. Obwohl, Kleidung konnte man das kurze mausgraue Kleidchen gar nicht nennen. Als sie plötzlich meine mit Kleidung und Lebensmittel gefüllten Tüten erblickte, füllten sich ihre wunderschönen Augen mit Tränen und sie fing an zu weinen vor Freude. Hysterisch öffnete ich die Autotür und riss die Tüten heraus. Ich raste zu ihr so schnell mich meine Beine tragen konnten. Die anderen Menschen blickten mich verwundert an. Wahrscheinlich bekommen sie nicht so oft ein Mädchen mit so vielen Tüten in den Händen zu Gesicht. Kurz darauf, als ich bei dem kleinen Mädchen ankam, versammelten sich alle Menschen um mich und ich verteilte das Mitgebrachte.
Während ich gerade mit einer alten Frau sprach, sah ich aus dem Augenwinkel, wie sich das kleine Mädchen von vorhin mit einem rotgrünen Apfel in der Hand einen Weg durch die Menge bahnte. Sie tippte mir mit ihrem Zeigefinger auf die Schulter und fragte leise mit einem Lächeln auf dem Gesicht: „ Wer bist du? Bist du der Weihnachtsmann?“ „Nein“ antwortete ich. „Eigentlich bin ich genauso ein Mädchen wie du.“ „Und, kommst du wieder?“ fragte sie mich mit einem hoffnungsvollen Blick. „Ja, auf jeden Fall!“ versprach ich ihr.