Mr. Bomplastik
Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Julia Würfel, 25 Jahre
Sehr geehrter Mr. Bomplastik,
die Erinnerung an unser Date ist wie ein Impuls, der tief in mir einen glühenden Strom entfacht und meinen Körper zu leidenschaftlichem Beben aufwallen lässt.
Mit Ihrer Schönheit haben Sie mich verzaubert und sogar einem verkümmerten Herzen wie meinem ein paar deformierte Emotionen entlockt. Ihr Körper, bestehend aus feinen, mit makelloser Haut überzogenen Konturen, wirkt zart. Gleichzeitig aber strahlt er durch seine beständige Beschaffenheit Sicherheit und Stabilität aus. Eine perfekte Symbiose, die ich in meinen bisherigen Erfahrungen mit anderen Materialien schmerzlich vermisst habe. Bei der Vorstellung von Ihrem, in jegliche denkbare Stellung verformbaren Körper, entfacht der Gedanke an ihre Genialität als Liebhaber ein fast schon gieriges Lustfeuerwerk in meinem intimen Bereich.
Getrieben von meiner Sehnsucht, eifere ich nach der unerreichbaren Leichtigkeit, mit der Sie durch das Leben schreiten. Niemand scheint Ihrer ewigen Jugend wirklich schaden zu können, Ihre resistente Agilität ist beeindruckend. Ich möchte gemeinsam mit Ihnen schweben, streben nach vollkommener Schwerelosigkeit. Bis in die zeitlose Unendlichkeit.
Doch ein Gefühl von Verantwortungslosigkeit nagt unaufhörlich an meinem Gewissen, frisst sich wie ein Parasit in meine romantische Blase und bringt sogar meine auf einem festen Fundament aus tiefer Zuneigung basierende Mauer um mein Herz zum Bröckeln.
Wie diabolische Dämonen kriechen die Zweifel in mein vernunftgesteuertes Gehirn, walzen die seidenen Fäden der emotionalen Bindungen nieder und offenbaren mir die Grausamkeit der Realität.
Scheußliche Künstlichkeit überschwemmt mein aus Illusionen blind zusammen gesponnenes Bild, verätzt die letzten Konturen eines im naiven Geist perfekten Partners.
Ein wahrer König der Inszenierung, ein Kaiser der authentisch schillernden Täuschung.
Das sind Sie wohl, doch vielmehr erblühen Sie als Sklave, einer Knospe menschlichen Narzissmus entsprungen. Angetrieben von Selbstherrlichkeit, feierlich gipfelnd in kühnem Egoismus, nutzen Sie die letzten fossilen Ressourcen der Erde, um selbst zu überleben. Ihre giftige Art, für manche Augen durch Ihr ideales Scheinbild unsichtbar verzerrt, provoziert unberechenbare Folgen für viele Lebewesen dieser Welt. Klangheimlich besiedeln Sie artenreiche Naturparadiese, bringen schleichend die ökologische Balance aus dem Gleichgewicht und betrachten mit lüsternem Auge, wie einst lebendige Quellen als hoffnungslose tote Tümpel verenden. Ihnen zum Opfer gefallene Fischleichen stranden alltäglich an den Küsten, Ihr düsterer Schatten lastet weiter auf Ihnen.
Doch Sie schillern ungebrochen weiter, das Fundament Ihres Palasts auf menschlicher Abhängigkeit stabil gebaut. Mangelnde Alternativen manifestieren Ihre Vormachtstellung.
Gekräftigt durch die ökologische Ignoranz der menschlichen Spezies, starten Sie gestärkt in eine gesicherte Zukunft.
Doch als optimistische Utopistin ist meine Hoffnung noch nicht gänzlich versiegt. Auch für mich gibt es eine Zukunft. Mit ihm. Einem Partner aus ökologisch verträglichem Material, der mir umfassenden Schutz bieten kann. Keine leere Hülle, sondern einen engagierten und verantwortungsvollen Geist.
Am menschlichen Lebensbaum verbleiben zwar wenige, aber doch ein paar hoffnungsvolle Knospen. Sobald sie endlich sprießen, ist meine Zeit gekommen. Es wird nicht mehr lange dauern, ich glaube fest daran.
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