Missmutig starrte Ben den Eimer und das Greifgerät an, die vor ihm im Gras lagen. Sein Blick wanderte die lange Straße entlang, die sich neben ihm entlang schlängelte und in der Ferne verlor. Das würde ein Haufen Arbeit werden.
Ben spielte mit dem Gedanken, es nicht zu tun, sich einfach umzudrehen und wegzulaufen. Sein Gesicht schien allerdings Bände zu sprechen. Das Gericht hatte ihm einen Begleiter, oder besser einen Aufpasser, zur Seite gestellt. Dieser zog nur abwartend die Augenbrauen in die Höhe, während er Bens Gesichtsausdruck musterte. Da musste Ben wohl durch. Gereizt warf er die Arme in die Luft: „Ist ja schon gut, ich mache es.“ Er schnappte sich die Arbeitsgeräte und stapfte los.
Das erste Stück Müll, das Ben fand, war eine leere Getränkedose. Sie sah ganz ähnlich aus wie die, die er selbst aus dem Autofenster geworfen hatte und die Schuld daran war, dass er sich heute als Müllmann hergeben musste. Wut stieg in Ben auf und er kickte die Dose ein Stück weg. „Dann musst du sie eben später aufheben“, kommentierte sein Aufpasser trocken. Ben zuckte nur mit den Schultern.
Auf der Straße fuhr ein Auto vorbei. Durch die geöffneten Fenster hörte Ben das Wummern der voll aufgedrehten Musik. Die jungen Männer im Inneren lachten, als sie Bens Warnweste und den Müllgreifer in seiner Hand sahen. „Hier, ein Geschenk für dich“, rief einer und warf Ben eine leere Zigarettenpackung vor die Füße. „Ha, ha, wie witzig“, schrie Ben ihm hinterher, aber das Auto war schon außer Hörweite.
Bens Aufpasser hatte ein Notizbuch aus der Tasche gezogen und notierte sich das Kennzeichen des Autos. „Denen wird das Lachen schon noch vergehen. Die neue Gesetzgebung ist streng mit solchen Umweltsündern“, meinte er dabei.
Ja, die neue Gesetzgebung. Sie war auch für Ben zum Fallstrick geworden. Er hatte sich nichts dabei gedacht, als er die Dose aus dem Autofenster warf, und dann, zack, kam die Vorladung vor Gericht. Von den neuen Gesetzen zum Schutz der Umwelt hatte er zuvor noch nie gehört. Umweltverschmutzung stoppen, den Verursachern die Augen öffnen, blablabla. Und die Strafen waren völlig überzogen. Ben musste dabei helfen, drei Kilometer Straßenrand vom Müll zu befreien. Weil er eine einzige Dose aus dem Fenster geworfen hatte. Dabei machte das doch jeder. Was war also schon dabei?
„Der Müll hebt sich nicht von alleine auf, auch wenn du ihn so grimmig anstarrst“, unterbrach sein Aufpasser Bens Gedanken. Ben lag bereits eine Erwiderung auf der Zunge, doch als er sah, wie viel Müll der andere schon gesammelt hatte, schluckte er sie lieber wieder runter.
Es war schwerer als gedacht, den Greifer zu bedienen. Mehrmals fiel das Müllstück wieder zu Boden, bevor Ben es in dem Eimer platzieren konnte. „So ein nutzloses Ding“, schimpfte er leise vor sich hin, als mal wieder ein klebriges Bonbonpapier an dem Greifer hängen blieb und sich nicht lösen wollte. Ben seufzte. Wenn sie wenigstens bald fertig wären. Aber danach sah es nicht aus. Obwohl die Eimer schon ziemlich voll waren, hatten die beiden erst wenige Meter hinter sich gebracht.
Unglaublich, wie viel Müll hier herum lag. Hier eine Chipstüte, da die Reste einer Zeitung, dort eine zerbrochene Flasche. Es nahm überhaupt kein Ende. Wer dachte eigentlich an die Tiere, die sich an den Glasscherben verletzen konnten oder beim Fressen versehentlich auch Plastikstücke erwischten? Niemand, musste sich Ben die ernüchternde Antwort selbst geben. Die Menschen dachten an gar nichts, wenn sie ihren Müll achtlos hinter sich ließen. So, wie er sich nichts dabei gedacht hatte. Wenn das Ziel dieser Bestrafung war, ihm ein schlechtes Gewissen zu machen, dann war sie erfolgreich.
Schweigend arbeiteten Ben und sein Begleiter weiter. Die Sonne brannte und schon bald fing Ben an zu schwitzen. Aber an Aufgeben war nicht zu denken. Er wischte sich nur hin und wieder den Schweiß von der Stirn und machte weiter.
Irgendwann bemerkte er, dass sein Begleiter die Arbeit unterbrochen hatte. „Was ist los?“, fragte Ben überrascht. „Wir haben die drei Kilometer gesäubert, die dir das Gericht vorgeschrieben hat. Du darfst jetzt aufhören.“ „Aber wir sind noch nicht fertig. Hier liegt überall noch Müll herum“, protestierte Ben und zeigte undeutlich hinter sich. Sein Begleiter lachte freudlos auf: „Wir werden niemals fertig werden, solange die Menschen nichts an ihrer Einstellung ändern. Glaube mir, spätestens in einer Woche wirst du wieder von vorne anfangen können und kaum noch erkennen, dass wir überhaupt Müll aufgesammelt haben. Auch die neue Gesetzgebung wird daran so schnell nichts ändern können. Wir Menschen sind langsame Lerner.“
Lange schaute Ben auf den gesäuberten Wegesrand und dann auf das Stück, das noch vor ihm lag. Er würde nie wieder seinen Müll achtlos aus dem Fenster werden. Weil nämlich viel mehr dabei war als er gedacht hätte. Und nächste Woche würde er wieder kommen und erneut den Müll einsammeln. Diesmal ganz freiwillig. Es war nur ein kleiner Beitrag. Aber immerhin: Es war ein Beitrag.