Yuancho lief durch den Regen, zwischen den riesigen Hochhäusern Chinas her, bis zu einem kleinen, unauffälligen Haus. Sie war völlig durchnässt und bis auf die Knochen durchgefroren. Das Mädchen hängte ihren Mantel auf und ging in das kleine Wohnzimmer. Ihre Eltern, eine hübsche zierliche Frau mit dunklen Augen und ein Mann mit Milchkaffee farbender Haut, saßen nebeneinander auf dem Sofa und redeten leise, doch als Yuancho den Raum betrat, verstummten sie sofort. Es war seltsam, fast gruselig. „Setz dich zu uns“, sagte ihre Mutter. Ihre Stimme war sehr leise und sehr traurig. „Es wird ein großes Unwetter geben, es läuft überall in den Nachrichten, man kann spüren, dass etwas schreckliches passiert.“, begann sie mit brüchiger Stimme zu erzählen. „Viele Familien werden wegziehen...“, erzählte ihr Vater weiter, „wir haben nicht genug Geld, um eine solche Reise zu bezahlen, aber es reicht für ein Flugticket, und das restliche Geld wird sicher reichen, um eine Unterkunft und Essen zu bezahlen“
Yuancho fuhr hoch. Sie saß in ihrem Bett, sie hatte nur geträumt, trotzdem liefen ihr Tränen übers Gesicht. Sie hatte ihre Eltern seitdem nie wieder gesehen. Sie hieß nun Anna, so hatte sie die Familie, in der sie nun lebte, genannt. Sie wussten ihren wahren Namen nicht, sie sprach nicht mehr. Mit niemandem. Die Schmidts hatten eine Möbelfabrik und ziemlich viel Geld. Sie hatten das Mädchen aufgenommen, als es vor eineinhalb Jahren in Deutschland angekommen war. Sie war traumatisiert und wurde zu den besten und teuersten Therapeuten und Psychologen geschickt - alles umsonst. Anna versuchte wieder einzuschlafen, doch sie hörte die Stimmen ihrer Eltern, sah sich im Flugzeug sitzen, mit tränennassem Gesicht, sah die restlichen Trümmer Chinas.
Als Emilia sie am nächsten morgen weckte, war Anna todmüde und hätte sich am liebsten wieder umgedreht. Doch die fünfzehn-jährige hatte gleich Unterricht mit Herrn Wu, ihrem Privatlehrer.
Als sie sich am Abend die Nachrichten mit den Schmidts ansah, wurde über die Umweltkatastrophe in China geredet. Anna saß schweigend vor dem Bildschirm, doch ihr liefen Tränen übers Gesicht. Die Stürme und Überschwemmungen hatten beinahe ein ganzes Jahr angehalten. Plötzlich erzählte der Reporter, dass tatsächlich eine Person überlebt hatte, und von Rettungskräften geborgen werden konnte. Als ein Video des Einsatzes gezeigt wurde, setzte Yuanchos Atmung für einen kurzen Moment aus. Dann sagte sie mit leiser, zittriger Stimme: „Mama“.
Es war das erste Wort, dass ihre neue Familie von ihr hörte. Die Schmidts taten alles, was sie konnten, damit Mian, Yuanchos Mutter, wieder gesund wurde. Die Entdeckung, dass ihre Mutter lebte, gab Yuancho neue Hoffnung. Sie wollte nicht, das noch andere Menschen so etwas erleben mussten. Sie beschloss ihre Geschichte weiter zu erzählen, damit die Menschen etwas änderten und den Klimawandel stoppten. Schließlich waren sie es, die die Natur so kaputt gemacht hatten, und es würde mehr solcher Katastrophen geben, wenn sie ihr Verhalten nicht änderten.