„Sollen wir etwa mit dem Fahrrad fahren?“, erwiderte sie.
Von Dortmund nach Sizilien schien mir eine nicht mögliche Strecke mit dem Fahrrad zu sein. Sicherlich; 20 Euro für den Hin- und Rückflug nach Sizilien hört sich verlockend an. Ich dachte darüber nac,h wie wir am Strand liegen würden, feiern würden und noch in ein paar Jahren erzählen würden, dass wir spontan Flüge nach Sizilien buchten und uns aufmachten in das sonnige Italien.
„Ich esse kein Fleisch, fahre kein Auto, bin immer mit dem Bus unterwegs. Man kann ja nicht auf alles verzichten.“, sagte sie leicht schnippisch.
Es schien mir so als hätte ich sie verärgert, als hätte ich den Moralapostel-Finger gehoben und sie damit zum Weltzerstörer ernannt. Ich fühlte mich als hätte ich mich damit selbst ins Aus katapultiert. Gerade erst hatte ich das Gefühl, als wäre ich angekommen, aufgenommen worden. Mein grünversifftes Denken schien es in binnen Sekunden zerstört zu haben.
Wie oft hatte ich schon das Gefühl, dass mein Verantwortungsbewusstsein gegenüber dieser Welt und den Generationen nach uns, es mir schwer machte, mich in der Gesellschaft zurecht zu finden. Es ist schwer, mit mir essen zu gehen, es ist schwer, mit mir in den Urlaub zu fahren, es ist schwer, mit mir über Shopping und Konsum zu reden. Es ist schwer, mir zuzuhören, wenn ich mal wieder verzweifelt versuche, jemandem meinen Standpunkt zu erklären. Meine Angst. Die Angst davor, was gerade passiert. Jeder weiß, was unser heutiger Lebensstil bedeutet, doch niemand möchte auf Dinge verzichten. Sie glauben, ihr Glück hängt an dem Kaffee, den sie morgens trinken, an der neuen Hose, die sie sich kaufen und an dem Kurzurlaub in Italien, den sie spontan buchen. Ich wünschte, ich könnte ihnen zeigen, dass das nicht stimmt. Zeigen, dass all das, was sie für so wichtig halten, irrelevant ist.
Ich kann ihnen nicht böse sein. Ich war doch selbst einmal so. Ich wusste es doch nicht besser. Natürlich wusste ich, dass es nicht gut ist, aber was bedeutet schon nicht gut?
Mir war nicht bewusst, wie schlimm es wirklich ist. Dass wir auf den besten Weg sind, uns selbst und alles Leben so wie wir es kennen auszulöschen. 2020 soll es mehr Plastik im Meer geben als Fisch. Zahlreiche Krankheiten, die heutzutage überwiegend in südlicheren Ländern zu finden sind, sollen sich in naher Zukunft auch bei uns rasend schnell verbreiten. Manche Regionen sollen aufgrund der Hitze bald nicht mehr bewohnbar sein, genauso wie viele Felder aufgrund der Dürre nicht mehr bestellt werden können. Und dass die nächsten 20 Jahre darüber entscheiden, ob es überhaupt noch eine Möglichkeit gibt, es aufzuhalten, falls es sie überhaupt noch gibt. Doch das hören sie gar nicht, sie hören immer nur das, worauf sie verzichten sollen.
Oft habe ich das Gefühl, die Leute denken, ich würde ihnen gerne erzählen, wie nachhaltig ich lebe und dass mich das zu einem besseren Menschen machen würde als sie. Aber dabei rede ich sehr ungerne darüber, denn ich weiß, wie oft Leute mich missverstehen und wie schnell sie sich angegriffen fühlen. Ich habe Angst mit diesen Themen anzufangen, da ich weiß, dass ich in eine Schublade gesteckt werde, in der ich gar nicht sein will und dass ich mir wieder anhören darf, wie nervig das ist. Aber diese Angst ist nichts in dem Vergleich mit der Angst, die ich vor der Zukunft habe und davor, was passiert, wenn wir jetzt nichts ändern.
„Man kann ja nicht auf alles verzichten.“. Diese Worte klingen immer wieder in meinem Kopf nach. Die Frage ist doch, ab wann haben wir genug getan? Gibt es nicht immer etwas, was wir mehr tun können; ein Schritt, den wir weiter gehen können? Jedes Lebewesen, das lebt, zerstört. Das ist das Leben. Um uns am Leben zu halten, müssen wir Dinge zerstören, die uns die Erde schenkt. Wir brauchen Essen und ein Dach über dem Kopf. Jeder Mensch zerstört. Aber liegt es nicht in unserer Verantwortung, diese Zerstörung so klein wie möglich zu halten?
Natürlich ist es gut, kein Fleisch zu essen und das Auto mal stehen zu lassen. Aber ich denke nicht, dass es rechtfertigt für drei Tage 2.373 km nach Palermo zu fliegen. Sicherlich gibt es Leute, die viel mehr Schaden anrichten. Die regelmäßig fliegen, maßlos Fleisch oder andere Tierprodukte essen und ständig mit ihrem Auto durch die Gegend fahren. Aber der Mensch neigt dazu, immer der Beste sein zu wollen, warum aber ist er in dem Fall zufrieden, wenn er nicht der Schlimmste ist?
„Du musst ja nicht mit, wenn du dich dabei nicht wohl fühlst.“, sagte sie, „Das ist okay.“. Ich sagte nichts. Ich schwieg und mir war bewusst, dass ich wieder auf was verzichtet hatte. Etwas was nicht so leicht zu ersetzen war wie ein Stück Wurst oder eine Plastikzahnbürste. Es war die Möglichkeit dabei zu sein und dazu zu gehören. Das größte Opfer, das man bringen kann.
Doch als ich so drüber nachdachte, wurde mir mal wieder bewusst, dass obwohl ich was verloren hatte, ich viel mehr gewann. Trotz der Angst, die mich begleitet, die Trauer und auch die Wut, die ich bei dem Leid und der Ignoranz spüre, habe ich mich nie glücklicher und vollkommener gefühlt in meinem Leben.
Ich weiß, dass es der richtige Weg ist, denn hier wachsen Hoffnung und Zuversicht am Wegesrand.