Du kommst nachhause und die Tür knallt hinter dir zu. „Hey“, rufst du im Vorbeigehen und wirfst mir eine Kusshand zu. „Ich hab dir die Buchungsbestätigung weitergeleitet, hast du gesehen?“, rufst du aus dem Schlafzimmer.
„Was für eine Buchung?“, frage ich und stelle meine Teetasse auf den Küchentisch.
Du hörst mich nicht. Ich nehme mein Handy und rufe meine E-Mails ab. Lufthansa hat mir vor einer Stunde eine Buchungsbestätigung für ein Flugticket auf die Seychellen geschickt.
Ich gehe mit dem Handy in der Hand ins Schlafzimmer. „Was ist das denn?“
„Wir fliegen morgen Früh! Ich hol mal schnell die Koffer aus dem Keller!“, du hastest an mir vorbei. Ich gehe dir hinterher.
„Christian, jetzt bleib stehen und erklär mir das, verdammt.“
„Heute kam der neue Flutbericht raus. Ich habe den ja mit Leyla zusammen vorbereitet in den letzten Monaten, aber heute kamen die neuen Daten von der World Meteorological Organization. Das geht jetzt alles ganz schnell, in ein paar Monaten sind die Inseln alle unter Wasser. Und du wolltest doch immer mal auf die Seychellen.“
„Und du hast jetzt einfach mal zwei Flugtickets für morgen gebucht?“
„Nimm dir frei, meld dich krank – das ist jedenfalls unsere letzte Chance.“
Nachts liege ich neben dir im Bett. Du schläfst und hast einen Arm um mich gelegt. Vor dem Kleiderschrank stehen unsere vollgepackten Koffer. Erst als es dämmert, schlafe ich ein.
Der Flug ist unruhig, direkt hinter uns sitzt ein junges Paar mit Baby, das ständig weint. Ich versuche zu lesen, kann mich aber nicht konzentrieren. Du hast dir Weißwein bestellt und blätterst durch die Tageszeitung.
Vom Flughafen nehmen wir einen Bus, er fährt uns fast bis zum Hotel, du hast alles recherchiert. Die Luft schlägt uns warm und feucht entgegen, die Straßen sind palmengesäumt und alle Leute, die mit uns im Bus sitzen, wirken gutgelaunt. Die Hotelanlage ist auf einem kleinen Hügel, direkt am Meer.
Am ersten Abend betrinken wir uns mit Mojitos. Mein Kopf ist leicht, du nimmst mich an die Hand und wir gehen noch zum dunklen Strand. Wellen umspülen meine nackten Füße.
„Schön hier, nicht?“, du atmest tief ein.
Ich schlafe schlecht auf der Insel. In der ersten Nacht zwingt mich noch das Jetlag in den Schlaf, aber in der zweiten Nacht wache ich von einem Alptraum auf. Ich stehe auf, öffne die Schiebetür und setze mich auf die Terrasse von unserem Bungalow. In meinem Traum sind wir vor einer riesigen Welle vom Strand ins Landesinnere geflüchtet, aber irgendwann war überall nur noch Wasser. Und dann konnte ich meine Füße nicht mehr spüren, habe dich vor mir laufen gesehen und nur gefühlt wie das heranrollende Wasser hinter mir den Boden zum Beben bringt.
Wir sitzen im weißen Sand.
„Man müsste doch zumindest irgendwas machen. Eine Crowdfunding-Kampagne starten oder so“, sage ich und lasse Sand durch meine Finger rieseln.
„Wenn das erst mal nach außen dringt, bricht hier doch Massenpanik aus. In ein paar Wochen werden sie ganz diskret mit den Evakuierungen beginnen.“
„Wie konnte das denn so schnell passieren, die letzten Prognosen waren doch recht optimistisch?“
Du schüttelst den Kopf. „Nee, die waren einfach nur unrealistisch. Man ist eigentlich seit Jahren davon ausgegangen, dass irgendwann ein beschleunigender Effekt eintritt. Jeder weitere abgebrochene Eisberg hat das Datum nur weiter nach vorn verschoben.
Einmal machen wir eine Orchideenwanderung, streifen durch die Palmenwälder der Insel. Du gehst mit einem Pflanzenguide in der Hand voraus und deutest ab und zu auf besondere Gewächse. „Da schau mal, die hier soll mega selten sein, die kommt auch nur hier in der Region vor, überall anders ist sie wohl schon ausgestorben“, du bleibst vor einer großen Orchidee stehen. Die Blüten sind weiß-violett gemustert, mit einem dunkelvioletten Blütendolch. Ich will ein Foto davon machen, rutsche aber aus und breche beim Versuch Halt zu suchen, den Blütenzweig ab. „Fuck!“, rufe ich. „Ist doch egal“, sagst du und zuckst mit den Schultern. „Die überleben die Flut eh nicht.“
An unserem letzten Abend setzt sich ein älteres englisches Pärchen zu uns an den Tisch. Wir haben uns die letzte Woche immer freundlich gegrüßt, aber noch nie länger miteinander gesprochen. „Gefällt es Ihnen hier denn?“, fragen sie uns. „Für uns ist es das Paradies. Wir sind seit zwanzig Jahren jedes Jahr hier. Dieses Mal haben wir uns endlich getraut und uns ein kleines Grundstück gekauft. Wenn alles gutgeht, sind wir ab nächstem Winter dann dauerhaft da“, die Frau hat tiefe Lachfalten und legt ihrem Mann die Hand auf Arm.
Du nickst ihnen zu. „Schön. Wir haben die Tage hier auch sehr genossen.“
„Sie müssen unbedingt mal im Frühling hierher kommen. Die Insel ist dann in voller Blüte, einfach unglaublich.“
Wir bleiben stumm.
Vom Flugzeug aus sehen wir noch mal auf die Inseln. Sie sehen klein aus, kaum sichtbare helle Flecken. Darum herum tiefblaues Meer.