Morgengrau

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Lea Adam, 19 Jahre

Da war dieser Traum. Ein Traum, der nicht nur mich aufsuchte, sondern alle. Ja, wirklich die ganze Welt! Es klingt verrückt, doch nachts hatten alle Menschen den gleichen Traum. Ich bin am Morgen aufgewacht und lag auf einer grünen Wiese. Die Sonne schien auf das saftig grüne Gras, das vom Morgentau glänzte wie grünes Gold. Ich war allein, nur Wiese, Wald und einige schüchterne Tiere füllten mein Blickfeld. Es war angenehm warm und eine leichte Brise beflügelte mich. Neugierig betrat ich den Wald, um die Landschaft und die angenehme Atmosphäre aufzunehmen und mit der Bewegung die Müdigkeit loszuwerden. Die Vögel zwitscherten fröhlich, ein Wasserfall rauschte leise in der Ferne und der Duft von bunten Blumen und frischer Luft erreichte mich. Ich blieb an einem kleinen Fluss stehen, ließ die Füße ins Wasser baumeln und die Gedanken abschweifen. Es war ein schöner Traum, der endlos so hätte weitergehen können, doch irgendwann wachte ich immer wieder auf. Niemand konnte sich erklären, warum wir alle den gleichen Traum hatten, aber in den ersten Tagen fanden es alle lustig. Bis sich der Traum änderte.

Ich bin am Morgen aufgewacht und lag auf einer Wiese, diesmal auf einer grauen Wiese! Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Ich lag auf grauem Gras, allein, in der Stille. Sogar die Vögel zwitscherten nicht mehr, der Wasserfall blieb stumm und die Luft stank nach Kohlenstoff. Der Wald war entzaubert, die Bäume trugen keine Blätter mehr und waren mit grauem Ruß bedeckt. Ich stand auf, schwach und enttäuscht, hungrig nach Frische und Leben. Also bin ich losgelaufen und habe gesucht, vergebens. Je weiter ich gelaufen bin, desto düsterer wurde der Wald. Ich wusste nicht mehr, wo ich war, wer ich war und wohin ich ging. Der Tod schien die Welt zu befallen. Auch diesen Traum träumte jeder Mensch auf der Erde und jeder wachte verschwitzt und verängstigt auf. Der Traum nahm nicht nur unsere Nacht ein, sondern wirkte sich auch auf unser Leben aus. Wir fühlten uns schwach, müde und verantwortlich., denn der Traum zeigte uns, wie sich die Welt verändert, wie dumm wir sind und was wir eigentlich brauchen. Doch er hat uns auch verbunden und Einheit geschaffen. Wir fühlten und erlebten alle das gleiche Elend. Und das sollte uns retten.

Einige Tage später veränderte sich der Traum wieder. Diesmal wachte ich auf einem harten Untergrund auf. Das Erste, was ich spürte war eine unerträgliche Hitze. Als ich mich umschaute, erschrak ich. Ich sah ich nur graue Straßen, graue, eckige Häuser, grauen Rauch, graue Menschen und einen riesigen, grauen Platz, auf dem leblose Menschen lagen. Ja, ein riesiger Haufen von schmutzigen, blutenden Menschen. Bei näherem Hinschauen sah ich, dass es sich ausschließlich um Kinder handelte. Ich schien die Einzige zu sein, die es sah, denn die Menschenmassen liefen einfach an dem Menschenhaufen vorbei, als wäre dort nichts als Luft. Ich ging näher heran und ein Schauer lief mir über den Rücken. Meine Töchter lagen dort. Auch sie waren schmutzig, in zerrissenen Kleidern, in leblosen Körpern. Es war nur ein Traum, doch es schien so real. Die Wut überkam mich und ich stieß einen lauten Schrei aus, Tränen strömten mir aus den Augen und ich stürzte mich auf meine Kinder, wollte sie aufwecken, doch nichts half. Resigniert und erschöpft setzte ich mich auf den harten Boden. Schuldgefühlte und Wut auf mich selbst fraßen mich innerlich auf. Wie konnte ich zulassen, dass meinen Kindern so etwas zustößt? Dass ich leben darf, aber sie sterben mussten? Ich wollte aufwachen, doch der Traum ließ es noch nicht zu. Ein älterer Mann kam auf mich zu. Er schien, im Gegensatz zu den anderen Menschen, die toten Kinder zu sehen. Er hatte einen neutralen, emotionslosen Blick, und so sprach er auch. „Du hast deine Kinder umgebracht.“, sagte er trocken und ging einfach weiter. Ich konnte es nicht fassen. Als ich dem Mann folgen und ich zum Stehen bringen wollte, wachte ich auf, verschwitzt, erschöpft und müde.

Das Erste, was ich tat, war, in das Kinderzimmer zu gehen, um zu gucken, ob meine Kinder noch leben. Alles schien in Ordnung, doch innerlich war ich aufgewühlt und verängstigt. Auch diesen Traum erlebten alle Menschen. Sogar meine Kinder hatten ihre zukünftigen Kinder sterben sehen und waren verstört und weinten. Meine siebenjährige Tochter sagte zitternd zu mir: „Papa, ich habe mein Kind getötet. Es tut mir so leid.“

Im Fernsehen ging es nur noch um diese Träume, was sie uns sagen und wie wir sie loswerden könnten. Alle kamen zu dem gleichen Schluss: Es kann so nicht weitergehen. Wenn wir so weiterleben, wird die Erde zerstört, unsere Kinder werden sterben und wir sind verantwortlich! Es war zwar nur ein Traum, aber er hatte enorme Auswirkungen auf unser Leben. Eines Abends habe ich mit meiner Frau und meinen Kindern eine Dokumentation über die Träume gesehen. Wir hörten aufmerksam zu, was die Sprecherin erzählte: „Die Träume lassen die Menschen zum ersten Mal den Klimawandel und seine Folgen auf globaler Ebene emotional erleben. Emotionen wie Angst, erschreckende Zukunftsvorstellungen und Verantwortungsbewusstsein rütteln die Menschen auf. Laut einer Umfrage ist Umweltschutz aktuell das Thema, das die Bevölkerung am meisten bewegt, was sich bereits in vielen Taten widerspiegelt. So kann man in vielen Ländern der Welt keine Plastiktüten mehr erwerben, die Straßen sind weitgehend leer, da viele Menschen auf das Fahrrad umsteigen, Flüge fallen aus, Fleisch wird kaum noch gekauft, der Druck von Papierwerbung wurde weitgehend eingestellt, die Menschen sammeln sich, um Straßen, Flussufer und Strände vom Müll zu befreien und Kindergärten und Schulen pflanzen Bäume und bauen eigenes Gemüse an. Beteiligte erzählen bereits, wie ihre Albträume nachlassen.“
Daraufhin sagte meine Frau lächelnd: „Das ist doch eine verrückte Welt. Da muss man erst seine Kinder sterben sehen, um zu begreifen, welche Auswirkungen es hat, eine Plastiktüte oder das Auto zu benutzen. Kommt! Lasst uns einen Baum pflanzen!“

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