Ein Geschichtsbuch liegt im Staub.
Seite 512; Überschrift: Eine hoffnungsvolle Kanzlerkandidatin
Die sich selbst als parteilos und pazifistisch bezeichnende, 1987 in Berlin geborene Edna Askja stellte sich im Jahr 2021 als Kanzlerkandidatin für die Bundesrepublik Deutschland auf und löste mit ihrer heute als „Rede der Chance“ eine hitzige Diskussion über die zukünftige, internationale Klima-, Human- und Sozialpolitik aus. Diese Rede hielt sie im Deutschen Bundestag bei der Generaldebatte über die deutsche Energiepolitik vor mehreren hunderten Abgeordneten. Ziel sei es, laut späterer Aussagen Edna Askjas gewesen, eine öffentliche Aufmerksamkeit für das, damals ihrer Meinung nach, noch nicht ausreichend präsente Thema zu schaffen.
Seite 513; Auszüge aus Edna Askjas „Rede der Chanche“
(…) Es muss ausgesprochen werden, dass der Klimawandel ein von den Menschen erzeugtes Problem ist und dass der menschliche Fortbestand von dem Klimawandel bedroht ist. Dieser Planet kann in vollkommen trockener oder eisiger Trostlosigkeit liegen. Dieser Planet wird fortbestehen. Die Menschheit nicht. Zumindest wenn wir so weitermachen wie bisher.
(…) Fragen wir uns, was ist der Auslöser für den Klimawandel? Machen wir es uns einfach, schieben wir den schwarzen Peter jetzt zur Industrie. Sind wir aber ehrlich, fassen wir uns an die eigene Nase. Wo wird dem Klima geschadet? Bei der Viehzucht, bei Monokulturen, beim Ausstoß von Treibhausgasen und bei der Abholzung des Regenwalds. Für wen werden Vieh und Nahrungsmittel hergestellt? Von wem werden die Treibhausgase ausgestoßen? Für wen wird der Regenwald abgeholzt? Für dich. Für mich. Für uns. Für Deutschland, für das wohlhabende Europa, für den wohlhabenden Westen, für die wohlhabenden Teile dieses Planeten. Denn dieser Teil des Planeten sieht es als selbstverständlich an, jeden Tag Fleisch zu essen, jeden Tag eine Diversität von Nahrungsmitteln zu sich zu nehmen, Auto zu fahren, durch die Welt zu fliegen, Energie zu verbrauchen, mehr und mehr Palmöl zu konsumieren, Produkte aus Tropenholz zu kaufen und das alles für so wenig wie möglich Geld. Denn dieser wohlhabende Teil der Welt ist nicht nur verwöhnt, sondern auch geizig. Wir werden als die Menschheitsmörder in die Geschichte eingehen und man wird sagen: Mord aus Habgier.
(…) Und was bringen all die rechtlich nicht bindenden Abkommen? Diese lächerlichen Zugeständnisse kommen einem vor wie die gut gemeinten Versprechen an Silvester, wo man sich schwört: Ja, dieses Jahr nehme ich ganz sicher ab, dieses Jahr rauche ich ganz sicher nicht, und noch bevor der Januar vorbei ist, hat man zugenommen und rauchen tut man auch wieder. Was tun gegen den Klimawandel? Was tun, wenn wir nichts an unserem Komfort und unserem Geiz ändern wollen? Nun, dann muss die Wissenschaft ran. Doch statt sich mit 100% emissionsfreien Autos und der Weiterentwicklung von erneuerbaren Energien zu beschäftigen, feilt Silicon Valley an der künstlichen Intelligenz, an der Unsterblichkeitsformel, an der ewigen Jugend, und die Digitalisierung der Gesellschaft scheint bereits ausgemacht. Von welcher Energie diese Digitalisierung jedoch realisiert werden soll, steht noch in den Sternen. Ein knappes Gut wie Energie soll also noch knapper werden. Etwas, was bereits kurz vor der Erschöpfung steht, soll noch weiter ausgeschöpft werden. Wo – im wahrsten Sinne des Wortes – keine Kohle da ist, kann nichts angeschafft werden.
(…) oder, wenn wir nicht egoistisch sind, wir einsehen, dass dieser Komfort nach dem akutellen wissenschaftlichen Standpunkt nicht zu halten ist und wir unseren Geiz zügeln, können wir dann nicht zu einer anderen Einstellung, ja, vielleicht zu einem positiven Gedanken kommen?
(…) Dieser Klimawandel gibt uns die Chance, unsere weltweite Struktur friedlich und schrittweise zu verändern. Dieser Klimawandel gibt uns die Chance, Teile des eigenen Komforts aufzugeben und den verbliebenen Komfort auch anderen zugänglich zu machen. Diese anderen werden schließlich zuerst den Preis bezahlen, die Schulden begleichen, die unser Komfort hinterlassen hat. Doch wir können diesem Wandel nicht entrinnen, denn haben die anderen alles verloren, so werden sie zu uns kommen. Auf die rettende, einsame Insel. Wir können sie einlassen oder sie aussperren, so oder so, gemeinsam gehen wir unter. Oder wir erkennen die Zeichen der Zeit. Die Zeichen für eine pazifistische Revolution. Hin zu einer gerechten Welt, in der es so wenig Hunger wie noch nie in der Menschheitsgeschichte geben könnte und mehr noch: so wenig Ungerechtigkeit wie noch nie zuvor, so wenig Ungleichberechtigung wie noch nie zuvor und eine Verteilung wie noch nie zuvor. Eine Verteilung, die endlich zeigt, was bereits jetzt Realität ist: wenn wir teilen, ist genug für alle da.
(…) Jemand Gläubiges würde vielleicht sagen, dieser Klimawandel ist ein Zeichen Gottes. Ich sage, es ist ein Zeichen, dass wir nicht ignorieren können. Denn wenn wir es tun, prophezeie ich Ihnen, überlebt diese Menschheit kein Jahrhundert mehr und selbst diese wenigen Jahrzehnte werden grausam und blutig.
(…) Auf in die Revolution!
Seite 623; Überschrift: Die großen Überschwemmungsphasen (2049-2055)
Seite 659; Überschrift: Dem Wetter wird offiziell der Krieg erklärt (2062)
Seite 672; Überschrift: Die weltweite Anzahl von Arten fällt unter 500 (2063)
Seite 675; Überschrift: Die großen Klimaflüchtlingskonflikte eskalieren und führen zu internationalem Massensterben (2066)
Seite 676; Überschrift: Die letzten Bienenbestände verschwinden (2067)
Seite 514
Bei den deutschen Kanzlerschaftswahlen 2021 bekam Edna Askja einen amtlichen Stimmanteil von 13,4 %. Sie zog sich komplett aus der Politik zurück und starb zu Beginn der großen Überschwemmungsphase so wie viele andere hunderte Nord-, West- und Mitteleuropäer.
Ein Geschichtsbuch liegt im Staub.