Hope.

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von R.P. Hope, 17 Jahre

Meine Fingerspitzen fahren behutsam über den Einband des kleinen Fotoalbums. Ein Stück Vergangenheit. Angst. Ein bisschen Hoffnung. Das Buch ist nicht größer als eine von diesen Retro DVDs und doch hängt ein Teil meines Herzens daran. Als ich das Büchlein vorsichtig aufschlage, erblicke ich sofort die farbenfrohen kleinen Bildchen. Auf dem ersten Bild, ganz links in der oberen Ecke, sind deutlich meine Mutter und ihre beste Freundin im Teenager Alter zu erkennen, wie sie sich umarmen, mit roten Wangen in die Kamera lächeln und im Hintergrund die Schneeflocken vom Himmel fallen. Die Bildunterschrift lautet: >Amy und Kira, Sommer 2037<. Auf dem Bild rechts daneben stehen mein Vater, seine Schwester und ihr Verlobter inmitten von bunt blühenden Rosen und Veilchen, Kokospalmen und jeder Menge Kürbisse. Da drunter steht in der verschnörkelten Schrift meiner Großmutter: >Cedric, Jannette und Ian, Frühjahr 2041<. In den nächsten Minuten blättere ich weiter gedankenverloren durch das Fotobuch, verharre bei einigen Seiten länger, überspringe wiederum andere. Eine Bewegung, die ich aus dem Augenwinkel wahrnehme, reißt mich aus meinem beinahe tranceartigen Zustand. „Miro.“, sage ich, ehe er vollkommen in mein Blickfeld tritt. „Geschichtsstunde?“, ein Lächeln umspielt seine Mundwinkel, ein kleines Grübchen bildet sich auf seiner Wange. Miro weiß genau wie faszinierend ich unsere Vergangenheit finde, wie stolz ich auf meine Eltern bin und doch zieht er mich des Öfteren mit meinem kleinen Zeitvertreib auf. Ich sitze oft auf unserer Dachterrasse in einer kleinen Nische und sehe mir die Fotoalben unserer Eltern an. Miro geht in die Hocke und plumpst dann ein wenig unbeholfen auf seinen Hintern. Ich grinse, er aber sieht mich nur herausfordernd an, ehe er anfängt mit seinen Fingern in meinen empfindlichen Bauch zu pieken. Meinen Lippen entweicht ein atemloses Kieksen und ich ringe nach Luft. Eine gefühlte Ewigkeit später liegen wir lächelnd nebeneinander, das Fotoalbum aufgeschlagen neben Miros Kopf, meine Haare verschlungen mit den Knöpfen seines Hemdes. Er küsst meine Schläfe. Ich suche nach Worten, mit denen ich ihm mitteilen kann, wie ich fühle, aber er kommt mir zuvor. „Ach liebste Hope. Ich weiß doch ebenso gut wie du, was unsere Eltern durchmachen mussten und wie lange sich ihre Generation gegen die damaligen Politiker und Machthaber gestellt haben. Ein Präsident, der einmal behauptete, dass der Klimawandel ein Hirngespinst sei und wenn überhaupt wäre ja die Sonne schuld, ist für mich eine Witzfigur, die sich einen Dreck um ihre Umwelt und nur um ihre Macht und ihr Geld sorgt.“ Wir sehen uns eine Weile stumm in die Augen, dann wende ich mich ab und schaue in den Himmel. Es dämmert bereits. „Wieso haben die Menschen aus der Schicht der Geldgeilen und Selbstsüchtigen nicht schon früher begreifen können, dass unsere Erde am sterben war? Ich meine es gab Organisationen, Menschen, die wenigstens versucht haben den Klimawandel zu stoppen, aber im Grunde müssen es doch alle gewusst haben oder irre ich mich? Aber hey, ich meine wenn Machthaber andere Dinge für wichtiger empfunden haben, dann ist es kein Wunder, dass erst die Hälfte der Menschheit durch sich häufende Naturkatastrophen sterben musste, ehe sich mit allen Mitteln um Gegenmaßnahmen gekümmert wurde“. Er seufzt, denn wir haben schon oft über das Thema geredet. Wir sind zwar der gleichen Ansicht, jedoch verdrängt er das längst Geschehene lieber, während mir auch Jahre nach der sogenannten >Rache der Natur< noch nach reden zumute war. Das wir hier liegen können, ohne vor plötzlichen Schneeschauern oder extremer Hitze Angst haben zu müssen, ist unseren Eltern und ihrem Willen, für die nächste Generation eine bessere Zukunft zu sichern, zu verdanken. Als es zu den Naturkatastrophen kam, waren unsere Eltern dabei, haben überlebt und ein Wunder vollbracht, indem der Klimawandel aufgehalten wurde. Es ist Anfang Herbst. Ich rieche nichts außer frischer Luft und Miros Aftershave. Es liegen keine stinkenden Abgase in der Luft und ich kann mir auch beim besten Willen nicht vorstellen, wie es damals gewesen sein musste, in einer Großstadt zu leben. Überall Fabriken, Smog über den Straßen, lärmende Autos. Heute gibt es die Kugeln. Jede Stadt und jedes Dorf weist ein bis zwei sogenannte Industriekugeln auf. Wenn ich jetzt darüber nachdenke bin ich sehr stolz, denn die Grundidee mit den Kugeln kam meiner Mutter und ein paar experimentierfreudigen Studenten. Mithilfe damaliger Technologien hatten sie es geschafft, mini Fabriken in Schneekugeln heranzuzüchten und sich selber zu schrumpfen, um dort zu arbeiten. Abgase, die diese Fabriken ausstoßen, werden unter der Kuppel der Kugel gehalten und durch bestimmte chemische Prozesse in nicht schädliche Stoffe umgewandelt. Mit Autos fahren wir auch heute noch, ich selber habe gerade erst vor einem halben Jahr meinen Führerschein gemacht. Jedoch fahren Autos nicht mehr wie vor Jahrzehnten mit Benzin oder Strom, sondern mit bestimmten Magneten, die das Auto fahren viel sicherer machen, da die Magnete eine gewisse Geschwindigkeitsbegrenzung haben und die Autos außerdem auf der Spur halten. Ich spüre, wie sich Miro neben mir aufrappelt. „Hope?“, seine Stimme ist warm und weich und der Blick mit dem er mich ansieht verrät, dass er wieder genau weiß, was ich denke. Er hält mir seine ausgestreckte Hand entgegen, welche ich sogleich mit meinen Fingern umschließe und dann mit einem sanften Ruck vom Boden hochgehoben werde. Ich lande in seinen Armen, seine Finger gleiten über meinen Kopf, so, als würde er meine Gedanken wegwischen wollen. „Im Grunde hast du ja recht. Ich sollte mit der jetzigen Situation glücklich sein und nicht so oft über Vergangenes nachdenken. Die Erde ist gerettet.“ Wir küssen uns und als wir uns voneinander lösen, sehe ich mein eigenes Spiegelbild in seinen Augen. Hope ist der Name den meine Eltern mir gaben. Ich bin ihre Hoffnung, eine Hoffnung auf den Erhalt einer besseren Welt.

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Autorin / Autor: R.P. Hope, 17 Jahre