Ich atme die frische Luft ein, die nach Frühling duftet. Sie erinnert mich an all die schönen Orte, die es auf der Welt gibt. Dichtbewaldete Hügel, alte Eichen, welche eine hübsche Straße säumen oder Palmen am Strand. Es sind Orte, für die es sich lohnt zu kämpfen, nur um sie genauso zu erhalten.
Während ich noch meinen Gedanken nachhänge, radle ich weiter durch den Central Park. Mit meinem Bike flitze ich zwischen einzelnen Joggern oder Spaziergängern hindurch, noch ist aber nicht besonders viel los, es ist erst früh am Morgen. Ich beobachte, wie die Sonne zwischen den Hochhäusern hindurch scheint und die Stadt in eine goldene Welt taucht. Ich halte vor einem hohen Gebäude an, auf dessen Schild am Eingang steht: Institut für Umweltforschung. Mit klopfendem Herzen trete ich ein, wo mir sofort ein junger Mann mit dunkler Haut und Brille entgegenkommt. Ich stelle mich vor: „Ich bin Dean Edwards und Schulpr-“ Da unterbricht er mich und sagt: „Ah ja, der Schulpraktikant. Ich bin Carlos Franklin und jüngster Mitarbeiter in der Geschichte des Instituts, was darauf beruht, dass sich Harvard und Oxford um mich gerissen haben. Ich habe aber sofort hier angefangen, um so früh wie möglich meine Karriere starten zu können.“ Dabei tippt er sich theatralisch an die Brille.
Er zeigt mir von unten angefangen jedes Stockwerk und die darin gelegenen Abteilungen – bis auf die Bereiche, die nur für befugtes Personal bestimmt sind. Also kein Zutritt für jemanden wie mich. Wobei mich gerade bei diesen reizt, was hinter ihren Türen liegt. Als wir in die oberste Etage gelangen, sehe ich aus den Augenwinkeln, wie genau eine dieser besagten Türen einen Spalt breit offensteht. Ich sage zu Carlos: „Tut mir wirklich leid, aber ich muss ganz dringend zur Toilette.“ Er wirft mir einen überaus genervten Blick zu aber willigt ein. Ich stoße einen innerlichen Jubelschrei aus. Statt also weiter geradeaus Richtung Herrentoilette zu laufen, biege ich rechts ab und verschwinde innerhalb eines Atemzuges durch die angelehnte Tür. Ich gelange in einen riesigen Raum, wo mich sofort eine bestimmte Sache in ihren Bann zieht: Auf einer Plattform thront ein transparenter Bildschirm. Totale Science-Fiction. Aber voll cool. Ich kann nicht anders und muss mir das einfach aus der Nähe ansehen. Ich springe die paar Stufen hoch und betrachte eingehend das Display. Plötzlich lässt mich eine herrische Stimme zusammenzucken: „Ich bin Leonard Franklin und wer bist du, dass du dich einfach in einen Hochsicherungstrakt hineinschleichst?“ Ich drehe mich um und erblicke einen Mann Anfang sechzig, der trotz seines Alters einen kräftigen Eindruck macht.
„Sind Sie DER Leonard Franklin? Der, der bereits zahlreiche Preise für diverse Erfindungen gewonnen hat? Verzeihung, mein Name ist Dean Edwards, ich bin hier Praktikant.“, sage ich aufgeregt. Er antwortet etwas ruppig: „Nun, du scheinst ein wenig aufmüpfig zu sein dafür, dass du nur Praktikant bist. Und jetzt verschwinde, bevor dich noch jemand sucht und du so richtig Ärger bekommst.“ Ich laufe in Richtung Tür, doch dann bleibe ich zögernd stehen: „Hätten Sie Zeit, sich eine meiner Ideen anzuschauen?“ Ich ziehe meinen Zeichenblock aus meinem Rucksack und reiche diesen ihm, ohne auf eine Antwort zu warten. Er nimmt ihn und wendet sich bereits wieder ab, völlig vertieft in etwas vollkommen anderes.
Erst vier Tage, nachdem ich ihm begegnet bin, bekomme ich eine Nachricht von Mr. Franklin. Ich bin gerade dabei, einige Akten in diverse Schachteln einzusortieren, als ein Mitarbeiter mir einen Zettel vom Professor überreicht. Darauf steht bloß ein einziger Satz „Komm morgen um zehn in mein Labor, dann feilen wir an deinem Science-Fiction Konzept.“
So kommt es, dass ich, ein gewöhnlicher Teenager, mit dem berühmten Leonard Franklin an einer Technologie arbeite, um den Klimawandel zu stoppen und damit die Welt zu retten! Denn in letzter Zeit ereigneten sich immer mehr Naturkatastrophen: In Europa zunehmend mehr Erdbeben, und in den Vereinigten Staaten mehr und mehr Hurrikans. Dazu überall extreme Temperaturschwankungen! Gerade sind wir dabei, im Labor ein ziemlich wichtiges Teil zu besprechen, als Carlos hereingestürmt kommt. Er erzählt japsend von einem Tsunami, der scheinbar die gesamte Küste Floridas erwischt haben muss. Unteranderem Miami soll wohl fast völlig überschwemmt worden sein.
Nun schnappt auch Mr. Franklin nach Luft und urplötzlich frage ich mich, ob er gerade einen Herzinfakt erleidet. Doch er sagt: „Zeig es uns.“ Carlos führt uns zur Cafeteria, wo bereits viele Menschen schockiert auf einen Flachbildschirm schauen. Was ich dort sehe, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Sie zeigen die Bilder einer zerstörten Stadt, wie ich sie nur aus Filmen kenne. Es wird berichtet von einer Totenzahl, die an der 200.000 Marke kratzt. Der Professor setzt sich zitternd auf einen Stuhl und krächzt: „Wir müssen schleunigst weiterarbeiten. Nur mit ihr können wir dieses grausame Geschehen stoppen und Millionen von Menschen das Leben retten. Denn heute wurde etwas losgetreten, was große Folgen für die Menschheit haben wird. Wir haben also nicht mehr viel Zeit, bis das nächste Mal etwas dieser Art passiert.“
Vier von Angst geplagte Tage später laufe ich nach einer halben Stunde Schlaf zum Labor, wo der Professor wie zu erwarten vor der Maschine kniet und kompliziert aussehende Drähte miteinander verknüpft. Er flüstert: „In 8 Stunden müssen wir fertig sein. Um diese Uhrzeit kommt es zu uns nach New York. Ein Tornado, der sich angeblich direkt über Manhattan bilden soll. Nur wenn wir vorher fertig werden, können wir es verhindern und nebenbei den Klimawandel stoppen – möglicherweise.“ Ich verschlucke mich beinahe an meinem Kaffee, der mittlerweile zu meinem wichtigsten Verbündeten geworden ist und muss an meine Familie denken. Wie kann ich sie vor diesem Grauen bewahren? Ich straffe meine Schultern und mache mir klar, dass ich sie und unzählige andere Menschen nur beschützen kann, wenn ich endlich diese verdammte Maschine vervollständige.
Nach einem Arbeitsmarathon haben wir es endlich geschafft, der Apparat wird nach ganz oben aufs Dach transportiert. Oben eile ich zum Professor und schaue ihn erwartungsvoll an. Aber er schnauzt nur: „Worauf wartest du noch, Junge? Schmeiß endlich die verdammte Kiste an!“ Angsterfüllt trete ich hervor, und streichle mit meiner Hand über die Oberfläche der Maschine, meinem Baby. Ich drehe an Knöpfen herum und verbinde die finalen Kabel, sodass die Maschine anspringt. Oder viel eher anspringen sollte. Denn es tut sich rein gar nichts. Schnell überlege ich, ob ich irgendetwas falsch gemacht habe. Aber nein, habe ich nicht. Es sei denn, ich habe während meiner Berechnungen etwas vergessen, dass so wichtig ist, dass das blöde Ding nicht anspringt. Ich spüre, wie die Last von Millionen Menschenleben mich zu erdrücken droht. Ich denke nach. Was hat nochmal mein Grandpa zu mir gesagt, als ich noch klein war? Noch deutlich kann ich mich jetzt wieder an die Worte erinnern, die er mir an diesem gewöhnlichen Tag in seiner Werkstatt sagte: „Dean, schreib dir das hinter die Ohren: wenn man einmal etwas ganz dringend reparieren muss, dann nimm einfach ein Klebeband, einen Stift und einen gewöhnlichen Draht und bastle dir einen Not-Anspringer.“
Ich wette, mein Großvater hätte nie gedacht, dass ich seinen Trick einmal benötigen würde, um die Welt zu retten, aber das spielt keine Rolle. So schnell ich kann rase ich los, um die nun lebenswichtigen Dinge zu holen. Aber als ich durch die Tür aufs Dach trete, peitscht mir Regen ins Gesicht und eine unglaublich starke Windböe lässt mich stolpern. Ich kämpfe mich nach vorne, wo nur noch der Professor steht und sich an einem Pfahl festklammert. Er ruft: „Beeil dich!“ Als hätte ich sonst nichts zu tun. Am Himmel sehe ich, wie sich bereits der Tornado bildet. Ich darf keine Zeit verlieren. Nachdem ich die drei Dinge angebracht habe, drücke ich den finalen Knopf und tatsächlich – die Maschine springt an! Doch es passiert natürlich nicht von jetzt auf gleich etwas.
Während sie hochfährt, sagt der Professor sanft: „Weißt du, Junge, ich habe keine Familie mehr. Schon immer war ich ein Griesgram. Eines Tages habe ich mich aber so stark mit meiner Frau gestritten, dass sie mit meinem einzigen Sohn einfach raus aufs Land gefahren ist, um sich eine Auszeit zu nehmen. Auf dem Weg dorthin sind beide tragisch verunglückt und sind nun … tot.“ Sein Blick ist abwesend, also tätschle ich seine Hand: „Wissen Sie, Professor, sie sind ein guter Mensch und ich bin mir sicher, die Schuld liegt nicht bei Ihnen.“ Er lächelt mich daraufhin dankbar an und sagt: „Dean, du bist mir in letzter Zeit sehr ans Herz gewachsen und ich sehe in dir immer meinen Sohn, denn ich vor vielen Jahren verloren habe.“ Dann fällt mir wieder ein, dass ich ja gerade dabei bin, die Welt zu retten. Ich kämpfe mich zur Maschine rüber und sehe erleichtert, dass sie fast vollständig hochgefahren ist. Auf einmal passiert es. Eine lange, dünne Antenne fährt heraus, welche senkrecht zum Himmel zeigt, geradewegs auf den Tornado, welcher kurz davor ist, ganz New York zu zerstören. Es gibt einen so lauten Knall, dass ich kurz denke, mein Trommelfell ist zerfetzt worden. Dann wird es um mich herum heller als alles was ich je zuvor gesehen habe.
Als ich erwache, blickt mich Carlos sorgenvoll an. Ich bin froh sein vertrautes Gesicht zu sehen. Sofort bombardiere ich ihn mit Fragen. Grinsend sagt er: „Hey Mann, fragst du denn gar nicht wie es mir geht?“ Ich fange an zu lachen, doch noch bevor er anfängt zu erzählen, weiß ich, dass alles gut ist. Durch ein Fenster scheint die Sonne und der Himmel ist wieder strahlend blau. Carlos erzählt mir, dass die Maschine wie geplant ihre Arbeit verrichtete und somit nicht nur den New Yorker Tornado, sondern auch unzählige andere Katastrophen verhindern konnte. Ich blicke wieder durchs Fenster. Die Sonne reflektiert an einer gegenüberliegenden Scheibe, sie versetzt auch die Blätter eines Baumes wieder in erlösend grüne Farben. Ich schaue zum strahlend blauen Himmel hinauf. Der schönste Anblick der Welt. Mir fällt nur ein passendes Wort dazu ein: Morgengrün.