„Wir sind die erste Generation, die die Folgen des Klimawandels spürt und die letzte, die etwas dagegen tun kann.“ Die Worte Barack Obamas verfolgten mich in den letzten Zeiten häufiger, in denen ich von erschreckenden Bildern und Nachrichten über Klimaprobleme erfuhr. Doch ich stelle mir die Frage, was genau ich denn tun könnte, als kleine Person unter vielen?
So begann ich zunächst in meinem Alltag aufmerksamer zu werden und Änderungen vorzunehmen, die gut für die Umwelt sein könnten. Ich versuchte wenig Fleisch zu essen, schrieb auf recyceltem Papier oder kaufte auf einer Seite im Internet Second-Hand Winterstiefel. Doch eine Studie führte mir plötzlich vor Augen, dass all dies nur einen geringen Beitrag ausmachte, wenn ich mehrmals im Jahr flog. Ein Langstreckenflug produzierte über 13000 Tonnen Co2! Diesen Herbst sollte es nach Griechenland gehen. Ich war geschockt und die Vorfreude getrübt. Im Urlaub kreisten diese Gedanken weiter in meinem Kopf und ließen sich nicht vertreiben. Als ich mit meiner Mutter eine Strandwanderung am Mittelmeersand entlang machte, fiel mir der Müll auf, welcher auf dem kurzen Strandabschnitt lag und ich beschloss, am nächsten Tag etwas gegen mein schreiendes schlechtes Gewissen zu unternehmen.
Gesagt, getan, nahm ich mir also eine kleine Tüte und stiefelte los, doch schon nach zwei Metern fand ich den ersten Müll und nach zwei Schritten den nächsten. Da waren nicht nur die unzähligen Plastikflaschen, sondern auch Fischernetzreste, Flaschendeckel, Konservendosen, Spielzeug, Alkoholflaschen oder Taschentücher. Ich hatte gehofft, das Müllsammeln würde befriedigen, ja vielleicht sogar eine Art Stolz hervorrufen, dass ich aktiv geworden bin, doch mit jeder Fuhre, die ich in den schwarzen Mülleimern am Straßenrand versenkte, wuchs mein Unmut. Ich hatte das Gefühl, dass die Leute, die an mir vorbei gingen, versuchten, mich nicht zu beachten oder beinahe peinlich berührt weg schauten, doch ehrlich gesagt hoffte ich, dass ich sie dazu anstiften könnte, das nächste Mal auch einfach den ein oder anderen Müll „aus seiner Güte heraus“ zu entsorgen.
Nach einer Stunde war ich von unserer Liege gerade Mal 200 Meter entfernt. Ermüdet und deprimiert ging ich zurück, das schlechte Gewissen im Nacken, denn da lag noch mehr Müll den es zu entsorgen galt. Ja ich hatte sogar ein noch schlechteres Gefühl als vorher. Plötzlich sprach mich ein älterer Grieche an und riss mich aus meinen Gedanken. Mit seinem gebrochenen Deutsch fragte er mich, was ich hier trieb. Ich antwortete, dass ich sauber machte. „Warum?“, fragte er ganz erstaunt. Ja dieses warum war vermutlich der Grund für den vielen Müll hier am Strand. Wenn sich jeder fragte, warum soll ich das denn wegräumen, dann verstand ich, dass ich für gerade mal 300 Meter ein Stunde gebraucht hatte. So tief wie das Plastik in dem Sand und zwischen dem Seegras steckte, so tief lag der Glaube, dass der Müll am Strand nicht unser Problem wäre. „Für unsere Welt.“, antworte ich schließlich. Er lächelte. „Sehr gut.“, gab er zurück, „die Touristen machen alles schmutzig und du räumst auf, dass ist sehr gut.“ Ich freute mich über das bisschen Anerkennung für meine mühselige Arbeit. Doch „die Touristen“, das saß. Er fragte mich noch, ob ich jeden Tag hier sammelte und ich versprach ihm, es zu tun. Dann verabschiedeten wir uns. Waren das wirklich die Touristen? Ehrlich gesagt hatte ich geglaubt, die Griechen selbst würden ihren Müll hier liegen lassen. Doch die Touristen waren es, welche den Strand am häufigsten nutzten. Reisen trug also nicht nur zur Umweltverschmutzung bei, dachte ich, nein während des Reisens sorgten wir auch noch für Müll und Dreck im fremden Land, dass war beschämend.
Am nächsten Morgen hielt ich mich an das Versprechen, dass ich dem alten Griechen gab und machte mich wieder auf, den Abfall aus dem Sand zu klauben. Dieses Mal jedoch in die entgegengesetzte Richtung des Strandes. Und wieder war es mühselig, beinahe noch mehr als den Tag zuvor. Doch Müll für Müll den ich sammelte, wurde ich auch ruhiger. Ich hatte das Gefühl, dass es eine beinahe meditative Wirkung auf mich ausübte. Ein Schritt, ein Müllfetzen, ein Schritt, eine Plastikflasche, immer im Hintergrund das Donnern des heran rauschenden Meeres. Mir fiel auf, dass der meiste Müll gar kein liegengebliebener war, so wie leere Dosen oder Tüten, sondern vom Meer ans Land gespült wurde. Alte, milchige Plastikflaschenlaschen, Schuhsolen, Feuerzeuge, undefinierbare Plastikteile, Styropor in rauen Mengen sowie Plastikplanen, die sich tief in den Sand gegraben hatten. Ich sammelte als gäbe es kein Morgen. Selbst Daumennagel große Plastikstücke, die man sonst übersehen hätte, hob ich mit spitzem Finger auf. Und als ich vollkommen erschöpft meine Arbeit für heute beenden wollte, blickte ich auf einen von Müll und altem Plastik übersäten Strandabschnitt. Ich hätte heulen können. Ich wusste, dass es ewig dauern würde, um all dies frei zu bekommen und ich spürte die Erschöpfung in mir. Die Erschöpfung, die sich allein durch diesen Anblick tief ausbreitete und meine Beine und Hände müde werden ließ. War dies auch der Grund, warum die wenigsten Müll mit nahmen, weil die Massen sie überwältigten und sie nicht wussten, wo sie anfangen sollten? Und als ich den Rückweg antrat, entdeckte ich noch immer Müll dort, wo ich doch so eben gesammelt hatte. Konnte es sein, dass ich ihn einfach übersehen hatte? Ich beschloss, doch weiter zu sammeln und schaffte noch einmal eine volle Tüte zu einem der Eimer, obwohl ich an dieser Stelle bereits gesammelt hatte - es war deprimierend!
Doch am bedrückendsten war es, als ich am Nachmittag mit meiner Mutter eine Strandwanderung machte. Ich beschloss diesmal keinen Müll zu sammeln. Ich wollte einfach nur gehen und das Meer genießen, doch bei jedem Müllteil, an dem ich vorbei zog, juckte es mir in den Fingern. Ich versuchte mich auf das weite Meer zu konzentrieren, die Wellen, die tosend und schäumend auf das Ufer schlugen und an meinen Zehen leckten. Doch war weg sehen der richtige Weg? Früher war ich riesiger Bibi Blocksberg Fan gewesen, hatte die Kassetten rauf und runter gehört und Bibi stets für ihre Hexenkraft bewundert. Wie oft hatte ich mir schon gewünscht, eine eben solche Kraft zu haben, meist für sinnlose Dinge, doch mehr alles andere wünschte ich mir in diesem Moment, all den Müll zu einem dicken, kompakten Knäuel zu ziehen, wie durch magnetische Kraft angesogen und mit einem Ruck zu vernichten. Doch diese Gedanken sind anregend wie ernüchternd zu gleich. Täglich unterschreibe ich Petitionen, wie zum Beispiel gegen Strohhalme bei Fastfood Ketten, an denen Meerestiere sterben, und ich bin entsetzt, als ich hunderte dieser Plasteröhren im Sand finde. Aber was helfen schon die Illusionen? Die unterschriebenen Kampagnen? Sicher ist eine Stimme besser als keine, aber ich habe das Gefühl, dass mich niemand hört. Es bringt nichts, mir Traumwelten und Superhelden herbeizuwünschen, in denen unsere Probleme im nichts verschwinden. Wir leben nun mal nur in der Realität, und hier ist der Ort, wo gehandelt wird und gehandelt werden muss. Meine Mutter sagte dazu immer „Lieber a lokal hero as a global loser.“
Etwas Gutes hatte es aber trotzdem, solch erschreckende Bilder zu sehen, denn im Nachhinein konnten wir unser eigenes Handeln besser überdenken und überlegen, wie wir selbst noch aktiver werden könnten. Es ist wichtig, öfter mal einen Spiegel vorgehalten zu bekommen, und ich werde in Zukunft den Müll in der Natur aufsammeln, statt mich über ihn zu ärgern.