„Rogg’n’Rohl Azubi“ von Reimzig

Gut gegen Herbstdepression - findet Tahoma

Wer angesichts des Titels der neuen Platte von Reimzig schrammeligen Altväter-Gitarrenrock’n’Roll mit Elvis-Schmalzlocke, und das ganze in denglisch, erwartet, wird schon beim Opener „Willkommen“ eines besseren belehrt: Reimzig, das Quintett aus Hamburg, bieten besten deutschsprachigen…ja, was denn eigentlich? Obwohl (oder gerade weil?) ihre Musik aus den verschiedensten Genres, die da z.B. wären Hip Hop, Rock/Metal, Funk, Reggae (ja, sogar einige Blues-Anwandlungen sind zu hören), zusammengebastelt ist, klingt das Ergebnis so gar nicht nach Azubis, sondern eher nach bestandener Meisterprüfung. Die fünf Jungs selbst zu ihrem Stilsammelsurium: „Wir sind eine Rockband mit zwei Sprechsängern.“ Eben jene gründete sich 1997, coverte erstmal Rage Against The Machine und Dog Eat Dog, wagte sich aber dann mit „Such dir was aus“ 2001 in die große weite Musikbusiness-Welt. Obwohl von der Plattenfirma BMG nur mäßig promoted (im Gegensatz zu den Fanta4 etc.), ließen die Hanseaten die Köpfe nicht hängen, sondern liefern mit „Rogg’n’Rohl Azubi“ jetzt die zweite LP, die schon eher an Jan Delay und Fettes Brot gekoppelt mit Nu Metal erinnert. Derzeitige Besetzung: Bünse (alias King Bün de Kede) und Patrick am Gesang, Paquito (the Hank) an der Gitarre, Schwäng am Bass und Lars als Drummer.

*Nicht vorschnell beurteilen!*
Highlights des Albums sind sicherlich „Willkommen“, „Sorgenfrei“ und „Alles getan“: Der erste Track rockt, ist einfach fett, handwerklich gut gemacht und ideal als Festivalmucke – oder Paquito dazu: „Ein Opener, der auf die Fresse haut“. Textprobe: „Herzlich Willkommen zu der großen Show – seid ihr gut drauf?/Heut gibts Rock’n’Rohl – pass ma gut auf!“ „Sorgenfrei“ kommt etwas funkiger daher, ist aber genauso energiegeladen und außerdem spannend zu hören, während das melodische, groovende „Alles getan“ ungewöhnlicherweise an die Fans bzw. Hörer des Albums gerichtet ist: „Wir haben alles gegeben damit du schreist weil du’s brauchst/Haben alles gegeben damit du uns auch wirklich glaubst/Ham so derbe ein auf Ruhig gemacht damit du dich entspannst/Und jetzt wolln wir dich fragen wie du’s fandst“ – Das lädt doch direkt zur Antwort ein… Der Rest der Scheibe pendelt sich im guten Mittelfeld ein (bis auf ein Wölkchen am blauen Himmel: „Der Moment“, das zwar einen guten Text hat, ihn aber musikalisch keineswegs umsetzen kann). Das Feeling stellt sich jedenfalls ein; ob in „Cowboys“ mit dem Cabrio San Francisco und der Sonne entgegen („Wir sind die Cowboys der Musik und wir machen was wir wolln/Halten uns an keine Richtung und gehn trotzdem in die Vollen“) oder in „Weit hinten“ nix tun und chillen. Das harte „Ich will“ (das sich super aufbaut und stärker wird) und „Anders“ (melodischer Rock) haben leider trotz ihrer wirklich guten Strophen einen zu schwachen Refrain, bei „Tschüss“ und insbesondere „Schaumama“ ist es genau anders herum: die Refrains reißen die textbeladenen Songs raus, die sonst zu schnell langweilig werden. Tipp: Die CD nicht vorschnell beurteilen, sondern zwei-, dreimal hören, dann hat man sich an den Style gewöhnt und will die „Pladde“ gar nicht mehr aus der Hand geben!

*Gute Laune und Tiefgang*
Die neue Single „Schaumama“ wird allerdings kaum den Weg ins Radio finden, aber wie heißt es so schön: Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom, und Reimzigs Motto „Ab geht er, Hans-Peter“ wird wohl (hoffentlich) auch in Zukunft nichts von seiner Aktualität verlieren… Jedenfalls erscheint die Band bei der Aussage „Wenn Reimzig eine Boy-Group wäre, dann wären wir jetzt wahrscheinlich reich und berühmt“ nicht verbittert, sondern fast erleichtert, sich ihre Nische bewahren und auch im kleineren Kreis richtig abrocken zu können. Also: Wer von seiner Herbstdepression herunter- und an Musik, die gute Laune verbreitet und trotzdem einigen Tiefgang hat, herankommen will, der kaufe sich schleunigst diese Scheibe!

Autorin / Autor: Tahoma - Stand: 3. November 2003