Verschwörungskleber
Analyse mit Hilfe Künstlicher Intelligenz verdeutlicht: Verschwörungserzählungen brauchen eine Art "Kleber", das unterscheidet sie von wahren Geschichten
Wie verbreiten sich Verschwörungstheorien im Netz, wie sind sie strukturiert und was unterscheidet sie von wahren Geschichten?
Ein Forscherteam von der University of California Los Angeles hat mithilfe künstlicher Intelligenz zwei verschiedene Erzählungen miteinander verglichen, die im Netz stark thematisiert wurden und werden.
Das war zum einen ein wahrer Fall, nämlich der "Bridgegate" Skandal in New Jersey, 2013. Damals waren mehrere Spuren einer vielbefahrenen Brücke gesperrt worden, offenbar um absichtlich Staus zwischen zwei Städten zu verursachen und damit den Bürgermeister der einen Stadt für mangelnde politische Unterstützung abzustrafen.
Der zweite vermeintliche Skandal machte 2016 unter dem Namen Pizzagate die Runde im Netz und gehört ins Reich der Fantasie und der besonders fantasievollen Verschwörungstheorien. Geleakte E-Mails zwischen einem Pizzeria-Inhaber und der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clintons wurden dahingehend (sehr eigenwillig) interpretiert, dass Clinton der Mittelpunkt eines Kinderhändlerrings sei. Rund 18.000 Postings wurden zu diesem Fall ausgewertet.
*Verschwörungstheorien brauchen einen "Kleber"*
Die Wissenschaftler_innen ließen ihr intelligentes System sämtliche Informationen zu den beiden Skandalen im Netz sammeln und analysieren. Das System lernte dabei, aus all den verschiedenen Informationen und Bruchstücken ein Gesamtbild zu erstellen und eine Geschichte so zu lesen und zu verstehen, wie es ein Mensch tun würde. Die Wissenschaftler_innen erstellten aus den Daten der KI eine graphische Darstellung mit Knotenpunkten, die einzelne Elemente und Personen darstellen und Linien, die die Schlüsselfiguren, Orte und Institutionen in Verbindung miteinander setzen.
Alle Informationen, einzelne Postings und Berichterstattungen über Personen, Sachverhalte und Orte, die im Netz über eine Geschichte kursieren, ergeben so einen erzählerischen Rahmen, der die einzelnen Elemente der Geschichte zusammenhält. Die einzelnen Puzzleteile von Verschwörungstheorien ergeben Sinn, so lange dieser verbindende Rahmen intakt bleibt. Verschwörungstheorien benötigen im Gegensatz zu wahren Geschichten dabei aber eine Art Kleber, nämlich Charaktere oder Elemente, die die Verbindung zu anderen Elementen der Erzählung herstellen.
*Verschwörungserzählungen bleiben länger stabil*
Entfernt man ein solches Klebe-Element oder einen Charakter der Geschichte, wird der erzählerische Rahmen instabil und die ganze Geschichte fällt in sich zusammen. Im Fall von Pizzagate war der Kleber Wikileaks. Wurden die geleakten Mails und ihre eigenwillige Interpretation nämlich aus der Analyse herausgerechnet, blieben von der Geschichte nur unzusammenhängende Elemente bestehen.
Bei wirklich geschehenen Skandalen bleibt das Gerüst hingegen stabil, auch wenn einzelne Elemente herausgenommen werden.
Die Forschenden fanden außerdem heraus, dass Verschwörungserzählungen sich schneller herausbilden und länger stabil bleiben als solche von wirklichen Vorkommnissen. Pizzagate war bereits einen Monat nach auftauchen der E-Mails eine vermeintlich runde Sache und blieb lange so bestehen. Wahre Geschichten kommen sehr viel langsamer ans Licht.
Demnach zeichnet es Verschwörungstheorien aus, dass sie im Prinzip leicht auseinandergepflückt werden können.
Die Studie wurde im Fachmagazin PLOS One veröffentlicht.
Quelle: