Ungewöhnlich

Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Leah Weigand, 23 Jahre

„They are used to it!“- “Sie sind daran gewöhnt!”,
Wie oft habe ich das hier gehört,
und ich habe es dann geschluckt,
denn es hat mich nicht weiter gestört,
und es hat mich nicht weiter gejuckt,
denn sie sind ja dran gewöhnt.

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier,
klar, das weiß ich
und das weiß ich nicht nur von hier.
Gehen wir in unser Lieblingsrestaurant,
sitzen wir dort,
wo wir immer sind,
gehe ich ins Hallenbad,
benutze ich immer den gleichen Spint,
und schon seitdem ich ein Kind
bin, hat jeder seinen Platz am Esszimmertisch.
Eine Änderung nimmt niemand recht gern in Kauf,
und wehe ein Gast hebt diese Ordnung mal auf.

Bepackt mit meinen Gewohnheiten kam ich hier her,
einige gingen noch als Handgepäck durch - wie meine Gabel und meine Jeans.
Andere dagegen, wogen schwer.
Doch kaum hier,
gewöhnte ich mich an neue Dinge
und lernte die Gewohnheiten der Menschen kennen.
Lernte was sie essen
und Matooke nennen,
und mit „Fuß“ zu messen.
Dass man mich „Mzungu“ nennt,
man keine Waschmaschine kennt,
und die Zeit für gewöhnlich weniger rennt.
Und dass die Menschen Nüsse sind,
musste ich auch erst checken,
die manchmal etwas schwer zu knacken sind,
aber hinter deren Schale, richtig gute Freunde stecken.

Und so gewöhnte ich mich auch an die Erklärung:
„They are used to it!“
Bis mich manch weniger leichte Fragen erreichten.

Denn wenn ein Kind einen ganzen Schultag durchlebt,
ohne dass etwas zu Essen auf dem Boden steht,
frag‘ ich mich, ob man sich wirklich
an alles gewöhnen kann,
denn ich find‘,
dass manche Dinge
einfach ungewöhnlich sind!
Und ich sehe diese Kinder, nur mit Fetzen oder nackt.
Rechtfertigt die Gewöhnung einen solchen Fakt?
Und wenn die Schläge eines Lehrers für ein Kind,
normal geworden sind,
kommt mir ein Zweifel daran in den Sinn,
dass ich von Gewöhnung immer positiv beeinflusst bin.
Und wenn ich überlege, wie lang ich schon hier bin,
und das ist noch nicht sehr lang,
frag ich mich, ob man Gewöhnung überhaupt steuern kann.
Und woher weiß man,
was die guten und die schlechten Angewohnheiten sind?
Und woher weiß man das als Kind?

„They are used to it!“
“Sie sind daran gewöhnt, die Kinder!“
Daran, jeden Morgen um fünf Uhr aufzusteh’n,
und nicht vor zehn ins Bett zu geh’n.
Daran, eine Stunde zur Schule und barfuß zu laufen,
daran, sich nie etwas zu kaufen,
weil sie nichts besitzen.
Daran, über Stunden auf dem Boden zu sitzen, oder zu knie’n.
Waschen, putzen, dem Hähnchen die Federn ausreißen,
Wasser tragen, Gäste versorgen, Geschwister anweisen,
mit zehn daran gewöhnt, einen ganzen Haushalt zu schmeißen!
Sich täglich von Maisbrei und Bohnen ernähren,
Respektpersonen kniend ehren,
bis zum nächsten Arzt ca. fünf Meilen,
den Schlafraum mit der 12-köpfigen Familie teilen.

„They are used to it!“
Es gibt viel, an das man sich offensichtlich,
so richtig,
gewöhnen kann.
Und es zeigt mir, wozu auch ich in der Lage sein kann.
Als Deutscher komme ich mir vor wie ein Schwamm,
der gar nicht weiß, wozu er fähig sein kann,
weil er hart und ausgetrocknet durch Deutschland flaniert,
ohne, dass etwas passiert,
das sein Potential entfaltet.
Ohne zu wissen, welche Größe er erreicht,
wenn man ihn im Wasser der Grenzsituationen aufweicht.
Denn das Leben wird bestimmt von diesen Situationen,
die uns wachsen lassen,
und aufhören zu schonen.

„They are used to it!“ Die Sponge Bobs!
Wir sollten mehr rausgehen!
Aus uns, unseren Gewohnheiten und unserem persönlichen Bikini Button!
Uns aussetzen. Uns neuen Dingen aussetzen.
Am Limit, wenn alle Sicherungen durchbrennen,
lernst du dich kennen,
wie du denkst und was du dann machst,
und was du eigentlich auf dem Kasten hast.

So haben Robert Geissen und das sog. „afrikanische Kind“
doch irgendwie das gleiche Problem:
Sie sind an Dinge gewöhnt,
von denen sie meinen, dass sie gut für sie sind.
Nur Robert kann’s ändern, nicht so das Kind.

„They are used to it!“
Ich weiß, Gewohnheiten bringen uns Sicherheit,
und ein Stück weit,
brauchen wir sie auch.
Doch wir sollten sie prüfen,
und bereit sein, sie zu wechseln,
denn sie sind nicht zu unterschätzen.
Sie vermitteln uns den Irrglauben, wir könnten nicht anders.
Oh doch, wir können! Wir können noch ganz anders!
Ich habs geseh’n,
bei Jenen, die von der gleichen Spezies sind.
Nennt man auch Menschen.
Ich glaube, du vergisst manchmal, dass du der Selbe bist,
weil deine Haut etwas heller geraten ist.

Da ist ein Traum, der schon länger existiert,
und für den mal mehr und mal weniger passiert.
Auch ich werfe keine neue Lösung in den Raum,
sondern teile ganz einfach diesen Traum.
Den Traum, dass manche Familienmitglieder auf Erden,
die Gewohnheiten etwas runterschrauben werden,
damit andere, die am Lebenslimit schürfen,
die Gewohnheiten etwas aufdreh’n dürfen.

„They are used to it!“
Ja, sie sind daran gewöhnt,
und das ist ein Schutz,
der ganz bestimmt nicht heißt,
dass das so bleiben muss,
sondern dass es schon viel zu lange so ist!

Und jetzt sind wir dran, man,
und ich denke, da hat jeder ne Idee,
was er machen kann.
Und so wünschte ich, eines Tages könnte man hör’n:
„They are used to it!” Ans Teilen.
Weil wir zur gleichen Familie gehör’n.

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