Forschung: Nicht immer kommen Fake News von außen. Eigene Vorurteile führen dazu, dass wir Fakten falsch erinnern und falsch weitergeben.
Nicht immer sind politisch motivierte Blogs, Trolle oder Social Bots für die Produktion und Verbreitung von Falschmeldungen verantwortlich. Wir sind es auch selbst.
Forscher_innen der US-amerikanischen Ohio State University haben herausgefunden, dass der Einzelne dazu beiträgt, dass sich falsche Informationen verbreiten. Sie konnten zeigen, dass Testpersonen selbst dann ihre eigenen "alternativen Fakten" kreieren, wenn man ihnen korrekte Daten zur Verfügung stellt. So wurden sie beispielsweise darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Zahlen mexikanischer Einwanderer zuletzt gesunken waren. Weil dies aber nicht zu der gängigen Meinung und den eigenen Vorurteilen passt, erinnerten sie genau das Gegenteil. Und je mehr sie diese falsche Erinnerung mit anderen teilten, desto stärker wich die Zahl am Ende davon den tatsächlichen Werten ab.
*Zahlen, die nicht unseren Erwartungen entsprechen, werden einfach angepasst*
"Die Menschen kreieren ihre eigenen Falschinformationen, das kommt nicht alles von externen Quellen“, erklärt Studienleiter Jason Coronel, der die Studie zusammen mit Shannon Poulsen und Matthew Sweitzer durchgeführt hat. Das Team führte zwei Studien durch, in denen sie Testpersonen vier Kurzbeschreibungen zu gesellschaftlichen Themen mit den entsprechenden Zahlen vorlegten. Dabei entsprachen bei zwei Themen die Zahlen in etwa der geläufigen Einschätzung zu dem Thema - beispielsweise, dass mehr Amerikaner_innen für eine gleichgeschlechtliche Ehe sein würden als dagegen. Tatsächlich stimmt hier die Einschätzung mit der tatsächlichen Zahl überein. Bei anderen Themen aber wich die Einschätzung von der realen Zahl ab, etwa bei dem Thema Immigration. So glauben die meisten US-Amerikaner_innen, dass die Zahl mexikanischer Einwanderer zwischen 2007 und 2014 gestiegen sei, in Wirklichkeit ist sie gesunken. Nachdem die Testpersonen also Informationen - etwa zur tatsächlichen Zahl der Einwanderer gelesen hatten - sollten sie im Anschluss spontan die Zahl erinnern und wiedergeben. Sie waren nicht darauf aufmerksam gemacht worden, sich die Zahl zu merken. Dabei zeigte sich, dass ihnen das besonders schwer fiel, wenn die Zahl nicht mit ihren eigenen Vorstellungen übereinstimmte. Manche erinnerten zwar die richtigen Zahlen, aber nicht, in welche Richtung sie gingen. In ihrer Erinnerung war beispielsweise die Zahl der Immigranten gestiegen, nicht gesunken.
*Hä, was stimmt hier nicht?*
Die Forscher_innen verwendeten zudem eine Eye-Tracking Methode, bei der die Augenbewegungen aufgezeichnet werden. Die Forscher_innen konnten schon anhand der Augenbewegung vorhersagen, wenn die gezeigte Zahl nicht der Erwartung der Testpersonen entsprach. "Ihre Augen gingen hin und her zwischen den Zahlen, so als würden sie sich fragen, was hier nicht stimmt", erklärt Coronel. „Dabei sollte man meinen, dass die den Zahlen mehr Aufmerksamkeit schenken, die nicht ihrer Erwartung entsprechen, so dass sie sie sich auch besser merken können, aber das war nicht das, was wir herausgefunden haben".
*Am Ende der Stillen Post kommt etwas ganz anderes raus*
In der zweiten Studie wurde ein "telephone game" gespielt, eine Art "Stille Post". Die erste Person bekam Informationen zur Anzahl mexikanischer Immigranten, die in den USA leben und sollten diese Zahl aus der Erinnerung notieren und an eine zweite Person weitergegen. Diese tat dasselbe und übergab die erinnerten Informationen an eine dritte Person. Während die erste Person dann schon mal aus der gesunkenen Zahl eine gestiegene machte, wuchs die Zahl bei der zweiten und dritten Person dann weiter. Im Durchschnitt sagte die letzte Person in der Kette, dass die Zahl mexikanischer Immigranten innerhalb der sieben Jahre um 4,6 Millionen gestiegen sei, obwohl die richtige und erste Information war, dass sie um 1,1 Millionen gesunken war.
Die Forscher_innen betonen, dass die Aussagekraft ihrer Studie Grenzen hat. So wurden nicht im Vorfeld die Vorurteile der einzelnen Testpersonen getestet, sondern nur allgemein herrschende Vorurteile über bestimmte Themen, und Spiele wie das "Telephone game" haben natürlich recht wenig mit der Kommunikation zu tun, die im wirklichen Leben stattfindet. Die Studie verdeutliche aber, dass wir uns nicht nur um von außen kommende Falschinformationen sorgen sollten. Wir müssten realisieren, dass wir selbst vielleicht eine ebenso bedeutsame Quelle für falsche Informationen sind wie äußere Ursachen, meinen die Forscher_innen. Schließlich kämen wir nur ab und zu mit Fake News in Kontakt, müssten aber jeden Tag mit unseren Vorurteilen leben.