Verzerrtes Bild der Gewaltkriminalität
Eine neue Medienanalyse zeigt: Bei der Berichterstattung über Gewaltkriminalität nennen deutsche Medien aktuell viel häufiger die Herkunft der Tatverdächtigen als in den Vorjahren und verzerren dadurch die Wahrnehmung
Seit der Kölner Silvesternacht 2015/16 wird den Medien in Deutschland verstärkt vorgeworfen, sie würden Straftaten von Eingewanderten und Geflüchteten verschweigen oder verharmlosen. Einige Redaktionen sind deshalb dazu übergegangen, die Herkunft von Tatverdächtigen öfter zu nennen. Der Deutsche Presserat änderte dazu die vorher gültige Richtlinie, nach der nur dann die Herkunft genannt werden sollte, wenn ein Zusammenhang zur Tat besteht, zum Beispiel wenn die Tat nur dadurch erklärbar wird, dass die Nationalität genannt wird. Das sollte vor Diskrimnierung schützen.
Was nun aber in den Medien passiert, ist eine große Verzerrung der Sachverhalte, denn verglichen mit den Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik wird überproportional häufig vor allem dann das Herkunftsland genannt, wenn der Tatverdächtige nichtdeutscher Herkunft ist. Dabei erfasste die Polizei 2018 mehr als doppelt so viele deutsche wie ausländische Tatverdächtige. In Fernsehberichten stehen aber mehr als acht und in Zeitungsberichten mehr als vierzehn ausländische Tatverdächtige einem einzigen deutschen Tatverdächtigen gegenüber. So zeichnen die Medien ein verzerrtes Bild der Gewaltkriminalität durch ausländische Täter, folgert Prof. Dr. Thomas Hestermann in einer aktuellen Expertise für den Mediendienst Integration.
Der Journalistik-Professor hat an der Hochschule Macromedia dazu Fernseh- und Zeitungsbeiträge aus dem Jahr 2019 untersucht – und mit Daten der Fernsehforschung aus 2014 und 2017 verglichen. Die Studie wurde unterstützt von der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen.
Grundlage der Analyse 2019 waren 199 Beiträge über Gewaltkriminalität in Deutschland aus Fernsehnachrichten und TV-Boulevardmagazinen von ARD, ZDF, RTL, Sat.1, ProSieben, Kabel Eins, Vox und RTL Zwei, die sich in vier Programmwochen Januar bis April 2019 auf Gewaltdelikte im Inland beziehen sowie 256 Beiträge über Gewaltkriminalität in Deutschland aus dem überregionalen Teil der Bundesausgaben von Bild, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Welt und Die Tageszeitung taz aus vier Wochen Januar bis April 2019.
- 2019: Jeder dritte Fernsehbeitrag und fast jeder zweite Zeitungsbeitrag erwähnt die Herkunft
Die Studie zeigt: In diesem Jahr enthielt jeder dritte Fernsehbeitrag und fast jeder zweite Zeitungsartikel, der über Gewaltkriminalität berichtete, einen Hinweis auf die Herkunft der Tatverdächtigen. In der Fernsehberichterstattung hat sich der Anteil, verglichen zu 2017, fast verdoppelt: Damals wurde die Herkunft nur in jedem sechsten Beitrag erwähnt. Vor der Kölner Silvesternacht spielte die Herkunft von Tatverdächtigen in der TV-Berichterstattung praktisch keine Rolle. - Medienberichte entsprechen nicht der Polizeistatistik
Die Herkunft wird aber vor allem dann genannt, wenn die Tatverdächtigen Ausländer sind. „Die Berichterstattung kehrt die Erkenntnisse der Polizei komplett um“, schreibt Hestermann. Ausländische Tatverdächtige werden in Fernsehberichten 19-mal so häufig erwähnt, wie es ihrem statistischen Anteil laut Polizeilicher Kriminalstatistik (2018) entspricht. In Zeitungsberichten sind sie sogar 32-fach präsent. - „Messerdelikte“: Mediensicht und Polizeistatistik
Die Verzerrung der statistischen Daten werde insbesondere am Beispiel sogenannter Messerdelikte deutlich, so Hestermann. Laut einem Lagebild der saarländischen Polizei sind rund 70 Prozent solcher Delikte Deutschen anzulasten. Doch nur in drei Fernsehberichten und in keinem einzigen Zeitungsbericht aus vier Wochen werde eine Messertat einem Deutschen zugeordnet.
Einseitiger Fokus auf ausländische Tatverdächtige
Hestermanns Fazit: Seit der Kölner Silvesternacht 2015/16 seien Medien getrieben von dem Anspruch, genauer und umfassend hinzusehen. In der Berichterstattung über Gewaltkriminalität sei jedoch das genaue Gegenteil eingetreten: ein einseitiger Fokus auf ausländische Tatverdächtige.
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