Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Tanja Z., 29 Jahre
„Hör auf mit dem Stuss!“, raunze ich ‚mich selbst‘ an.
Eine sehr hübsche Frau steht mir gegenüber. Sie sieht mir verdammt ähnlich und stellt grundsätzlich eine verbesserte, ältere Version meiner selbst dar. Ihre Lachfalten sind tief und ihr Blick besonnen. Die Wärme, die sie ausstrahlt, berührt mich und ich stelle mir die Frage, wie lange ich mich noch querstellen soll. „Okay, wieso bist du hier?“, frage ich sie geradeheraus.
„Wegen deinem Gedankenkarussell.“
Sie macht eine eindrucksvolle Pause, dann erklärt sie: „Du fragst dich immerzu, was du aus deinem Leben machen sollst. Du hast den Drang, was zu verändern, aber bleibst in deiner Komfortzone. Du informierst dich lieber pausenlos über die Chancenlosigkeit, Ausbeutung und den Egoismus auf dieser Welt, als was dagegen zu tun.
Das einzige, was du tust, ist Kopfschütteln und das treibt dein Gedankenkarussell wie ein Motor an.“
Ich fühle mich vor den Kopf gestoßen. Da kommt mein zukünftiges Ich hereinspaziert und hat mir nichts Wichtigeres zu sagen?!
Ohne meine Antwort abzuwarten, fährt sie fort: „Schauen wir uns mal deinen heutigen Tag an.“
„In Ordnung“, murmele ich.
Eigentlich habe ich 1000 Fragen an sie, aber es ist bestimmt keine gute Idee, seinem zukünftigen Ich ins Wort zu fallen.
Sie beginnt: „Heute morgen hat es wie aus Eimern geschüttet und du musstest zur Arbeit. Bereits beim Frühstück warst du schlechter gelaunt als eine Wurzelsellerie. Da hast du dir, wie schon so oft, gedacht: „Ich sollte lieber reisen und mein Leben genießen“. Den Gedanken hast du dann aber gleich wieder mit einem Kopfschütteln verworfen und bist muffelig zur Arbeit losgezogen.“ Ich zucke mit den Schultern.
„Als du dann auf dem Weg zur Arbeit an der Sparkasse vorbei bist, hast du dir deren Werbeplakat angeschaut. Eine junge Frau ist darauf abgebildet. In der Hand hält sie eine Kreditkarte und darunter der Slogan ‚Schuhschrank leer? Setzen Sie auf die richtige Karte‘. Du hast nur den Kopf geschüttelt und dir gedacht ‚was für eine klischeebeladene Werbung‘.“
„Ja genau“, stimme ich ihr zu.
„Später hörst du im Radio einen Bericht über Kliniken in Syrien, die heillos überfordert sind. Ärzte sind nur noch da, wenn sie bereit sind, ihr Leben aufs Spiel zu setzen.
Und wieder schüttelst du den Kopf, weil du daran denken musst wie sich deine Kollegen darüber beschweren, dass ihre Arbeit immer schwieriger wird.“
Mein zukünftiges Ich lacht: „Tja. Und dein Gedankenkarussell dreht sich und dreht sich mit jedem Mal Kopfschütteln von neuem. Du fragst dich, ob du all die Chancen, die dir in die Wiege gelegt wurden, auch richtig nutzt. Bist überfordert damit, dass es dir offensichtlich so gut geht, aber insgeheim plagen dich subtile Stigmatisierungen und die kühle Atmosphäre.“
Betreten nicke ich.
Mein zukünftiges Ich lächelt mich aufmunternd an: „Stell dir mal eine optimale Zukunft vor. Den heutigen Tag voller Gerechtigkeit.“ Ich stutze und ziehe meine Schultern bis an die Ohren. „Kein Plan wie das aussehen soll. Ich bin absolut kein Visionär“, antworte ich baff.
„Ich weiß“, prustet mein zukünftiges Ich und lacht dabei herzlich. „Naja, so viel kann ich dir verraten. In der Zukunft geht deinem Gedankenkarussell der Treibstoff aus.“
Mir bleibt die Spucke weg.
Mein zukünftiges Ich wird rot und beginnt zu kichern: „Das klingt jetzt ziemlich abgehoben und prophetisch. Das weiß ich. Aber du wirst es ja selbst erleben.“
Ihre Lachfalten und ihre Augen strahlen plötzlich Zuversicht aus.
Sie lullt meine Skepsis mit ihrer herzlichen, authentischen Stimme ein, als sie sagt: „Weißt du, wir haben uns den Spruch von Gandhi ‚Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen willst‘ sehr zu Herzen genommen. Ich glaube du hast schon gemerkt, dass du dringend etwas an deinen Gefühls-, Denk- und Verhaltensgewohnheiten ändern musst?“
Ich verziehe meine Mundwinkel. Habe ich bisher etwas übersehen?
Mein zukünftiges Ich tätschelt mein Knie: „Mach dir keinen Kopf. Wir alle haben uns in unserer westlichen Gesellschaft nicht angenommen und aufgehoben gefühlt. Jeder aus einem anderen Grund. Und bis auf ein paar Hippies, Haptomanen und Gutmenschen hat das wirklich niemand zugegeben. Oft war es ja auch nur ein ganz dumpfes Gefühl.“
Wieder macht sie eine eindrucksvolle Pause, dann wandelt sich ihre Tonlage: „Im Jahr 2025 nahm die Globalisierung Ausmaße an, die du dir bisher nicht vorstellen kannst. Das zwang uns dazu, über den Tellerrand hinaus zu schauen. Von einem Tag auf den anderen mussten wir den Mut aufbringen, im Größeren darüber nachzudenken, wer wir sind, was wir können und was wir in diese Welt einbringen wollen.“ In meinem Kopf rattert es – noch 5 Jahre.
„Uns blieb keine andere Möglichkeit als aktiv zu werden - und zwar jeder bei sich mit kleinen Dingen“, fährt mein zukünftiges Ich fort. „Unsere Gesellschaft begann Wahrnehmungen miteinander zu teilen, wodurch es uns gelang, Existenzängste überflüssig zu machen, emotionale Berührung für jeden zu bieten und ein nachhaltiges Leben aufzubauen.“
Ich lache laut und kann mir gar nicht vorstellen, in welchen Jahrzehnten die Menschheit eine solche Weisheit aufgeschnappt haben soll: „Das mag ja schön und recht sein“, pflichte ich ‚mir selbst‘ bei, „aber wie haben wir das gemacht?“
Mein zukünftiges Ich blitzt mich herausfordernd an: „Du findest Frauenklischees ätzend? Aber du lässt dir den Einkaufskorb von deinem Freund tragen, obwohl du das auch selbst tun könntest?!
Du möchtest Chancen ergreifen? Aber du tust es nicht, weil dir tausend unnötige Gründe einfallen, die dich davon abbringen?!
Deine Kollegen beschweren sich und das nervt? Doch anstatt mitzufühlen und konstruktive Lösungen einzubringen, ziehst du dich zurück?!“
Mein zukünftiges Ich schaut mich besorgt an, als ich grübelnd die Stirn runzle.
Dann lächelt sie mich zum Abschied hoffnungsvoll an: „Ich glaube du hast es verstanden. Und ich weiß, du hast noch viel vor dir. Aber du wirst sehen: ES LOHNT SICH.“