Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Mila Bachmann, 21 Jahre
Artikel 1
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. […]
Als ich geboren worden bin, ist etwas Wunderbares geschehen. Ich habe angefangen zu leben. Mit meiner Geburt existierte ein weiterer Körper auf diesem Planeten. Und auch, wenn er nur einer von acht Milliarden ist, so gehört er nur mir allein. Ich habe das Recht, mit meinem Körper zu machen, was ich will. Ich kann entscheiden, was ich denke. Ich kann entscheiden, was ich fühle, was ich anziehe und wie ich lebe. Denn ich bin der Mensch, der in diesem Körper lebt. Doch du hast mir diese Entscheidungen genommen. Ich denke nicht mehr, ich bin starr vor Angst. Ich fühle nicht mehr, da ist nur Leere. Ich lebe nicht mehr. Du hast mir meine Würde genommen, denn du warst in mir.
Artikel 2
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Ich lebe in einem Land, in dem ich Rechte habe. Ich habe das Recht, nein zu sagen. Ich habe das Recht, mich gegen etwas zu entscheiden. War ich nicht laut genug? Hast du mein nein nicht gehört? War es meine Schuld?
Artikel 2
(2) Jeder hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. […]
Ich weiß, dass Faktoren existieren, die Entscheidungen beeinflussen können. Erziehung, die Umwelt, das soziale Umfeld. Mir war nicht klar, wie einschneidend diese Faktoren tatsächlich sind. Ich blicke in den Spiegel, wie ich es immer getan habe. Ich betrachte mein Haar, von dem du sagtest, es erinnere dich an Honig. Meine Augen, von denen du sagtest, sie erinnern dich an das Meer. Meinen Körper, von dem ich meinen Blick abwenden muss. Manchmal habe ich darüber nachgedacht, ob ich wirklich mein Körper bin. Wenn ich mein Körper bin, wieso merke ich dann nicht, wie all die physischen Vorgänge geschehen? Wieso vergesse ich manchmal, dass ich atme? Wieso spüre ich nicht, wie sich mein Blut durch meine Venen bewegt, wie sich neue Zellen bilden und alte sterben. Aber inzwischen weiß ich, dass ich nicht mein Körper bin. Ich kann nicht mein Körper sein. Denn er lebt, obwohl ich nicht lebe. Wie kann es sein, dass mein Herz noch schlägt, meine Augen sehen und mein Mund noch schmecken kann?
Heute ist ein Tag wie jeder andere. Ich putze mir die Zähne, wasche mein Gesicht, füttere die Katze. Manchmal merke ich, dass ich vergesse, zu atmen. Aber dann fällt es mir wieder ein und alles ist okay. Ich schminke mich, damit ich aussehe wie immer. Niemand hat es je gesehen. Und ich habe dich nicht mehr gesehen. Aber es soll dieser eine Tag sein, fast ein Jahr später, an dem es passiert. Zuerst denke ich, ich täusche mich. Dein Rücken. Dein Haar. Dein Gesicht. Ich versuche mich zu verstecken, lasse eine Gruppe lachender Frauen zwischen uns. Du siehst mich nicht. Hast mich nie wirklich gesehen. Und dann bemerke ich es. Mein Puls beruhigt sich wieder. Ich wende mich von dir ab. Sobald ich Zuhause bin, rufe ich den einen Menschen an, der mir alles bedeutet. Er weiß alles über mich und ich alles über ihn. Eigentlich. Als ich es ihm erzähle, weint er. Ich weine. Ich blicke in den Spiegel und muss den Blick nicht abwenden. Das ist mein Körper, und er ist das wertvollste für mich.