Warum kann ich das nicht?
Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Marlene Götsch, 13 Jahre
Ich war fünf Jahre alt und spielte mit meinem besten Freund Toni im Sandkasten. Toni baute gerade eine Sandburg. Er schickte mich immer wieder weg, damit ich Wasser für den Wassergraben holte. Bald fragte ich: „Darf ich auch mit bauen?“ Doch Toni sah mich fragend an: „Nein, du kannst das nicht.“ „Warum kann ich das nicht?“, wollte ich wissen. „Na, du bist ein Mädchen Lisa.“ sagte er so, als ob es eine Erklärung sei, die selbstverständlich ist. Ich sah etwas betrübt zu Boden, doch holte dann weiter brav Wasser.
Als ich zehn war, wurde gerade der Klassensprecher gewählt. Frau Steiner gab jedem einen Zettel und meinte: „So, wer will denn alles Klassensprecher sein?“ Toni hob die Hand, so wie Leon, Kai und Ben. Frau Steiner schrieb alle Namen an die Tafel und schaute nochmal suchend in die Klasse: „Will sonst noch jemand?“ Ich hob zögerlich die Hand. Alle sahen mich an. Frau Steiner freute sich und schrieb auch meinen Namen an die Tafel. Da sprang plötzlich Kai auf und rief empört: „Aber Lisa ist ein Mädchen!“ „Na und?“, fragte ich. „Mein Papa sagt,s, dass Männer dazu geboren sind zu bestimmen, Frauen können das nicht!“, antwortete Leon. „Aber wieso sollten das Frauen nicht können?“, fragte Frau Steiner und schrieb meinen Namen gleich neben den von Toni. „Sie sind Frauen, ganz einfach!“ rief Ben dazwischen. Doch Frau Steiner ignorierte diese Antwort und sagte: „Schreibt nun diesen Namen auf euren Zettel, den ihr gerne als Klassensprecher haben wollt.“ Bei der Auswertung stimmten fünf für Toni, sechs für Leon, acht für Kai und vier für Ben. Für mich stimmte nur einer, Toni, er war der einzige der für mich stimmte.
Mit dreizehn nahmen alle meine Freundinnen Ballet Unterricht. Ich eingeschlossen. „Und eins, zwei, drei und eins, zwei drei…“ sagte meine Lehrerin streng, während sie rhythmisch mit den Händen klatschte. Ballet war nicht nur sehr anstrengend, es war auch gar nicht lustig für mich. Toni war beim Fußball angemeldet und hatte immer Riesenspaß. Immer wenn es regnete, machten er und sein Team in der Turnhalle lustige Spiele. Ich wäre auch gerne dabei gewesen, doch als ich meinen Vater fragte, ob er mich bei Fußball anmeldet, sah er mich nur lachend an: „Lisa, du kannst das nicht, wir wollen doch nicht, dass du Toni und sein Team blamierst!“ „Aber wieso kann ich das nicht?“, fragte ich frustriert. „Du bist kein Junge, Jungs haben das im Blut. Mädchen sollen nähen oder ins Ballett gehen.“, antwortete mein Vater und schob sich ein Butterbrot in den Mund. „Dann kommt Toni halt ins Ballett, dann können wir dort zusammen leiden“, schlug ich vor. Doch mein Vater verschluckte sich vor Lachen an seinem Butterbrot. Ich stampfte wütend in mein Zimmer und schlug die Tür zu. Ich dachte mir, wenn jetzt noch jemand kommen und sagen würde, dass Mädchen keine Türen zuschlagen können, dann würde ich ihm eine reinhauen, aber das konnten Mädchen ja auch nicht.