Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Julia A. Materna, 19 Jahre
Sein Blick verändert sich, wird abweisend, fast schon angeekelt.
David tritt einen Schritt zurück, er weiß genau, was jetzt kommt. Ich sehe stumm zu, für mich ist das alles neu. Ich habe davon gehört, ja, aber gesehen habe ich so etwas noch nie. Der Typ uns gegenüber tritt einen Schritt auf uns zu. „Geh.“ Ist alles was er sagt. David zuckt zusammen, er geht einen Schritt von dem großen Typen weg. Über die laute Musik hinweg schreit dieser nochmal, diesmal lauter: „Geh! Wir wollen so was nicht hier haben.“ Ich trete einen Schritt auf ihn zu, auch wenn er einen Kopf größer als ich und mindestens doppelt so breit ist.
Ich empfinde plötzlich eine unglaubliche Wut. Ich weiß nicht genau, wo sie her kommt, aber plötzlich ist sie da. Mächtig und stark und sie muss raus. Ich sehe ihm stur ins Gesicht. „Wir werden nicht gehen.“ Erwidere ich gefasst aber laut genug, dass er mich über die Musik hinweg verstehen kann. Sein Blick zuckt zu mir, es scheint, als hätte er mich gerade erst bemerkt.
Spöttisch sieht er mich an. „Was willst du dagegen machen? Bist du etwa auch eine von denen?“ Das „Denen“ spricht er mit einer solchen Abscheu aus, dass es mir kalt den Rücken hinunter läuft. „Das tut hier gar nichts zur Sache,“ meine ich und sehe ihm weiterhin in die Augen, bloß keine Angst zeigen. Plötzlich spüre ich Davids Hand an meinem Arm. „Lass uns gehen, das hat keinen Sinn,“ murmelt er leise und versucht mich von dem Typen weg zu ziehen. „Ja, höre auf die Schwuchtel. Verpisst euch!“ Natürlich springt er sofort darauf an. Lächerlich, aber gefährlich.
„Nenn ihn nicht so.“ Mutig recke ich mein Kinn nach vorn.
„Nimm die Missgeburt und verzieht euch! Es ist einfach nur widerlich euch um uns herum zu haben. Es ist unnatürlich, so etwas sollte verboten werden.“ Langsam wirkt der Typ, als stände er am Rand seiner Geduld. Nur noch kleiner Schubs und er wird explodieren, das merke ich.
Aber ich habe es satt. Habe es satt, zusehen zu müssen, wie David Orte meidet wegen Personen wie ihm, wie er immer kleiner wird, wie aus dem lebensfrohen und selbstbewussten David ein immer mehr in sich zurückgezogener, stiller David voller Selbstzweifel wird.
„Er muss sich für nichts schämen. Im Gegensatz zu dir. Wie kannst du morgens noch aufstehen und in den Spiegel sehen?“ Es platzt aus mir heraus und ich kann es nicht aufhalten.
Das letzte, an das ich mich erinnern kann, sind die gellenden Schreie der Menschen um uns herum und, ganz vorne mit dabei: Davids Schrei und eine Faust, die auf mich zukommt.
Als ich aufwache liege ich im Krankenhaus, gebrochene Rippen, blaue Augen, Prellungen und eine leichte Gehirnerschütterung. Eine junge Schwester mit einem Klemmbrett in der Hand kommt ins Zimmer.
Wie geht es dir?
Hast du Schmerzen?
Weißt du, wie du heißt?
Weißt du, wie alt du bist?
Ich beantworte alle Fragen, mechanisch, mit meinen Gedanken bin ich wo anders. Als sie endlich aufhört zu reden, stelle ich die einzige Frage, die mich interessiert.
„Wie geht es David?“ Die Schwester weicht meinem Blick aus. Druckst herum, sucht nach Worten. In mir wird alles taub, die Welt bleibt stehen und ich vergesse zu atmen.
„Er liegt im Koma, wir wissen nicht, ob und wann er wieder aufwacht.“ Der Satz brennt sich in meinem Kopf ein.
Einatmen. Meine Hände zittern. Der Kopf brummt. Die Gedanken überschlagen sich, drehen sich immer schneller, schlagen gegen die Stirn und lassen den Kopf brummen. Dabei grinsen sie und gewähren einen Blick auf ihre scharfen Zähne. Sie fahren ihre Krallen aus und setzen sich fest.
Die Schwester tritt an mein Bett, ihre Lippen bewegen sich, doch ich höre nichts.
„Er liegt im Koma, wir wissen nicht, ob und wann er wieder aufwacht.“ Mehr höre ich nicht.
Als ich wieder aufwache, hat mein Kopf aufgehört zu brummen, die Gedanken sind ruhiger geworden. Dafür sind sie einer unbändigen Wut gewichen. Auf diesen Typen, auf alle die so sind wie er!
Ich werde etwas ändern. Wir alle müssen etwas ändern.
David ist in einer Vergangenheit geboren, in der Homosexualität ein Tabuthema war. In einer Gegenwart aufgewachsen, in der die Mauer langsam bröckelt und ich werde dafür sorgen, dass er in einer Zukunft stirbt, in der diese Mauer eingerissen ist.
Autorin / Autor: Julia A. Materna, 19 Jahre