Schließ deine Beine, Kind. Du trägst einen Rock.
Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Sasha Young, 24 Jahre
„Schließ’ deine Beine, Kind. Du trägst einen Rock“, sagt Oma bestimmt.
Dieser Familienausflug war eine schlechte Idee, denke ich leise.
Ich sehe dich an.
Du lächelst nicht mehr.
„Bitte?“
„Das schickt sich nicht für eine Dame.“
Ich atme zischend aus.
„Ich bin keine Dame, Oma.“
Ein Lachen schlüpft aus deinem Mund.
Du siehst Oma an.
„Wo sie Recht hat“, sagst du.
„Laurenz, du solltest deine Schwester in ihrem undamenhaften Verhalten nicht auch noch unterstützen.“
Ich mache meine Ohren zu.
Das geht mir nun wirklich zu weit.
Das Letzte, was ich höre, ist, wie du sagst: „Jetzt mach‘ aber mal halblang Oma.
Nur, weil sie eine Frau ist.“
Dann denke ich mich weg.
Ich liebe unsere Oma ja wirklich.
Ehrlich.
So wie ein Mädchen eben die eigene Oma liebt.
Ihre konservativen Ansichten und Äußerungen liebe ich eben eher nicht.
„Zieh doch lieber ein Kleid an als diese ewigen Jeans, Kind.“
„Trag doch deine Haare mal wieder offen, Kind.“
„Eine Dame benimmt sich so nicht, Anna.“
„Oh, du hast aber zugenommen, Kind. So findest du keinen Mann.“
Prächtig!
Will ich auch nicht.
Der Tag, an dem ich ihr sage, dass ich lesbisch bin, wird der Sankt-Nimmerleins-Tag sein.
Das stand schon fest, als ich dreizehn Jahre alt war
und Linda Bauer auf Helena Kriegers vierzehntem Geburtstag beim Flaschendrehen küssen musste.
“Erzähl das bloß nicht den anderen”, hatte ich dir damals eingetrichtert,
nachdem ich dir im Garten hinter unserem Haus mein Geheimnis verraten hatte.
Damals waren wir vierzehn, heute sind wir vierundzwanzig.
Ich spüre, wie mir Hitze in die Ohren steigt.
Der richtige Zeitpunkt, um wütend zu werden, ist jetzt wohl wahrlich nicht.
Ich atme tief ein.
„Guten Appetit“, sagst du.
„Bitte?“, ich blicke verwirrt zu dir herüber.
„Guten Appetit, Anna“, du lächelst mich an.
Mein Suppenteller steht bereits vor mir.
Oma isst schon.
Du legst mir liebevoll die Hand auf die Schulter.
Gang eins von dreien.
Ich beginne, zu essen.
Dieser Familienausflug war eine schlechte Idee.