Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Sophie Rosenkranz, 21 Jahre
Gleichberechtigung.
Das Wort hat einen angenehmen klang auf der Zunge. Es rollte einem geradezu über die Lippen.
Gleichberechtigung. Ein hübsches Wort. Eines der Lieblingswörter meiner Generation, und dass, obwohl ich den größten Teil meines Lebens kaum über dessen Bedeutung nachgedacht habe. Vermutlich ist das ein gutes Zeichen, das heißt wohl, dass sie mir oft zuteilwurde.
Als Kind blieb mir lange Zeit die wunderbare Illusion, dass Gleichberechtigung etwas Normales, Allgegenwärtiges in unserer Gesellschaft wäre. Natürlich konnte ich als Mädchen aufs Gymnasium gehen, wenn ich das wollte, sicher, ich könnte eines Tages studieren. Und warum zum Teufel hätte es für mich auch nur die geringste Rolle spielen sollen, ob eine meiner Freundinnen eine dunklere Haut hatte als ich, oder ein Kopftuch trug? Mir war nicht mal bewusst, dass es Leute gab, die Menschen anhand derlei Kriterien unterschieden. Das wäre mir damals wahrscheinlich schon genau so lächerlich vorgekommen wie heute. So lange jemand nur bereit war, mit mir fangen zu spielen, war mir eh alles andere egal, und das obwohl ich ständig verlor.
Schade eigentlich, dass ich erwachsen werden musste. Diese Weltsicht hatte rückblickend etwas so unglaublich Schönes an sich.
Heute, zehn Jahre später, bin ich eines Besseren belehrt. Gleichberechtigung ist eines der wertvollsten Güter unserer Gesellschaft, aber verdammt, um wahre Gleichheit aller Menschen zu erlangen, liegt noch ein so langer Weg vor uns. Und mit uns meine ich diesen ganzen selbstgefälligen Planeten, dessen Zivilisationen sich immer weiter voneinander entfernen wie die beiden Messer einer riesigen Schere. Ich meine dieses Land mit seinen Bürgern und Politikern, und ich meine die jungen Menschen meiner Generation.
Es ist an der Zeit für eine Veränderung, und den Grund dafür sehe ich tagtäglich vor mir. Meistens sind es nur Kleinigkeiten, winzige Ungerechtigkeiten die mir auffallen, aber wenn man in einem engen Raume mit Wänden aus Granit gefesselt ist, und jeden Tag ein einzelner Wasser Tropfen auf einen herabfällt, wird man trotzdem irgendwann ertrinken.
Da ist zum Beispiel der alte Nachbar, der meinen Eltern erklärt, ich müsse ja nicht unbedingt studieren, ich sei schließlich ein Mädchen.
Da ist die Gruppe junger Männer, die der verschleierten Fau an der Bushaltestelle Beleidigungen nachrufen.
Da ist der Typ mit dem dreckigen Grinsen, der mich in der Disco fragt, ob er mitmachen kann, als ich ein Mädchen küsse.
Einatmen. Ausatmen. Nicht ausrasten. Du bist ein Mädchen, du sollst so etwas nicht machen. Warte, was?! Verdammt, und schon habe auch ich dieses Schema im Kopf. Das macht ein Mädchen, und das nicht. So einfach.
Was soll das heißen, du willst nicht heiraten? Und überhaupt, schlaf bloß nicht aus Spaß mit jemandem, das machen nur Schlampen! Was? Natürlich müssen Jungs sich die Hörner abstoßen, bevor sie sich mal auf etwas Festes einlassen, das ist doch ganz normal. Um Himmelswillen, du kannst doch nicht einfach zum Buddhismus konvertieren, geh in die Kirche. Neulich hast du jemanden geküsst, ich hab´s gesehen, es war eine junge Frau! Kannst du mir das mal erklären?! Was hast du da an? Dein Ausschnitt ist zu tief, dein Rock zu kurz! Du kannst dir doch nicht die Haare abschneiden! Das gefällt den Jungs doch sicher nicht! Und was willst du auf diesen Demos, damit erreicht man doch nichts, schon gar nicht in deinem Alter!
ICH WILL SCHREIEN.
Tagtäglich sind es dieses kleinen, winzigen Bemerkungen, Dinge die man mit halbem Ohr hört oder aus dem Augenwinkel sieht, die mich zunehmend an den Rand des Wahnsinns treiben.
Ich bin ein Mensch, verdammt, kein hübsches Stück Frischfleisch! Sucht euch etwas anders aus, auf das ihr eure zurückgebliebenen, patriarchalen Fantasien übertragen könnte, aber lasst uns Frauen in Ruhe!
Irgendwann schrei ich. Provoziert mich nur weiter. Und wenn ich schrei, werdet ihr mich hören! Denn meine Stimme wird laut sein wie der Donner, und nicht nur meine, sondern die meiner tausenden Schwestern in allen Städten und Ländern dieser Erde.
Wir haben es als Menschheit so weit gebracht, mit all der Wissenschaft, der Philosophie und der wunderbaren Kunst, warum fällt es uns da so schwer, unsereins als ebenbürtig zu behandeln?
Ich will, dass sich etwas ändert. Das ist meine große Hoffnung für meine Generation. Ich will, das alle Menschen, egal welcher Herkunft, Hautfarbe, Religion und sozialem Ursprung eine Chance erhalten. Ich will, dass Menschen nicht verurteilt werden, bevor sie auch nur die Möglichkeit haben ihre Stimme zu erheben.
Unser Denken ist so von Klischees und Vorurteilen besetzt, dass es unsere Gesellschaft in ein Korsett gezwungen hat, das uns bei jeder Handlung und jedem Gedanken einengt, ohne dass wir es merken. Ich für meinen Teil habe beschlossen, dieses Korsett aufzubrechen, und sei es auch nur für mich selbst.
Das ist in meinen Augen wahre Gleichberechtigung. Die Möglichkeit, ohne Vorverurteilung, ohne Zwang, und ohne gesellschaftlichen Druck den Weg zu gehen, denn man sich selbst ausgesucht hat. Ich will die Freiheit, meine eigenen Entscheidungen zu treffen, und ich wünsche mir, dass mein Umfeld diese akzeptiert.
Wenn ich morgen Jura studieren oder eine Ausbildung zum Bäcker machen will, dann werde ich das. Wenn ich mich taufen lassen will, lass ich mich taufen. Wenn ich heute einen Jungen küssen will, küsse ich einen Jungen, und wenn ich mich in ein Mädchen verliebe, dann ist das genauso gut. Das ist meine Freiheit, meine Gleichberechtigung.
Ich hoffe, dass unsere Gesellschaft eines Tages lernt, die Individualität ihrer einzelnen Mitglieder zu schätzen und zu respektieren, anstatt sie ihren Normen und Vorstellungen anzupassen oder als Bedrohung zu erleben.
Ich wünsche mir von meinen Mitmenschen Respekt vor den Entscheidungen anderer. Für mich. Für uns Frauen. Für alle Mitglieder der Gesellschaft.
Und vielleicht, wenn ich Glück habe, werde ich eines Tages wieder das kleine Mädchen sein, für das Gleichberechtigung so natürlich ist wie die Luft die es atmet.