Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Jana P., 20 Jahre
Die ersten kleinen Sterne wurden langsam am dunklen, tiefblauen Abendhimmel sichtbar. Ich lief die Straße entlang Richtung Feldweg. Bevor ich zu Abend essen würde, wollte ich noch eine Runde spazieren gehen, den Kopf frei bekommen und meine Gedanken sortieren. Hatte ich die richtige Entscheidung getroffen? War es okay gewesen, den Mund aufzumachen und die Missstände ans Licht zu bringen, die zurzeit bei mir auf der Arbeit herrschten? Ich konnte es noch immer nicht glauben, dass ich diesen Schritt gewagt hatte. Sonst war ich doch eher das ruhige, brave Mädchen gewesen, dass nur zu wenig Sachen nein gesagt hatte und einer netten Person nie einen Gefallen ausschlagen hätte. Wie konnte es also dazu kommen? Ich hatte schon viele Geschichten von Freunden, Bekannten etc. vernommen, die nach einer gewissen Zeit in ihrer Ausbildung von ihren Vorgesetzten und/oder Kollegen schlecht behandelt worden waren. Neben den typischen Aufgaben wie Sachen kopieren und Kaffee kochen durften sie sich Beleidigungen anhören, sie wurden Opfer von Anschuldigungen, es wurden Gerüchte gestreut und Lügen verbreitet. Alle schienen sich gegen den Azubi verschworen zu haben.
„Mir passiert das doch nicht“, hatte ich die ersten vier Monate über gedacht. „Die anderen haben doch sicher einfach einen schlechten Betrieb erwischt oder sich für den falschen Beruf entschieden. Bisher sind alle Leute und Mitarbeiter mir gegenüber nett und respektvoll gewesen. So was wird mir schon nicht passieren“. „Das denkst auch nur du“, würde ich meinem damaligen, naivem Ich am liebsten laut zurufen, es an den Schultern packen und kräftig durchschütteln, wenn ich die Fähigkeit hätte, in die Vergangenheit reisen zu können. „Es gibt Arschlöcher und es gibt Leute, die sind keine Arschlöcher“, hatte mein Politik-Lehrer damals gesagt. Wie recht dieser Mann hatte. Aber dass ich bald einem Arbeitskollegen begegnen würde, der in die erste Kategorie gehörte – damit hatte ich nicht gerechnet. Es war Anfang Dezember, ich absolvierte zurzeit eine Ausbildung in einem mittelständigen Unternehmen und musste wegen dem Ausbildungsplan gerade die Abteilung wechseln. Leider war ich darüber nicht sehr erfreut, da ich mich in der ersten Fachabteilung total wohl gefühlt hatte. Auch das Aufgabengebiet war ein komplett anderes. Dennoch wollte ich der neuen Abteilung eine Chance geben. Ich kam also gut gelaunt morgens zur Arbeit, lernte meine neuen Kollegen, zumindestens die, die nicht durch Erkältung ans Bett gefesselt waren, kennen und durfte einer Kollegin bei ihren Aufgaben über die Schulter schauen. Danach ging es noch zur obersten Chefin, die mir einen kleinen Einblick in die kommenden Monate gewährte und mit mir die Erwartungen der Abteilung an mich besprach.
Als ich am übernächsten Tag das Büro betrat, waren noch immer drei von fünf Mitarbeitern krank. Meine Ausbilderin war mittwochs nur bis mittags da, wie ich anschließend erfuhr. Das bedeutete also, dass ich mit dem anderen Mitarbeiter alleine sein würde. Eigentlich kein Problem… bis der Morgen vorüber ging. Ich weiß nicht, was der Mitarbeiter für ein Problem mit mir hatte, aber im Verlauf des Tages und der nächsten Wochen bekam ich unter anderem folgende Aussagen zu hören, viele schon am zweiten Arbeitstag: „Sie kommen ja aus … Dort treibt es ja jeder mit jedem“. „Sie saufen ja jedes Wochenende 2 Kästen Bier“. Zu anderem Kollegen aus einer anderen Abteilung: „Die Frau (damit war ich gemeint) … geht unter die Alkoholiker“. Als es später im Betrieb zu Diebstählen kam, sagte er im Büro zu Kollegen: „Das kann nur eine Person in diesem Haus sein“ und zu mir sagte er, als wir alleine waren: „Wir wissen ja alle, dass Sie hier klauen.“ Er dichtete mir also ein Alkoholproblem an, verbreitete vor den anderen Kollegen Lügen über mich, obwohl ich ihm gesagt hatte, dass er dies unterlassen sollte und bezichtigte mich sogar des Diebstahles – und das, obwohl er mich nicht privat kannte und ich keine Woche in der neuen Abteilung gewesen war. Normalerweise bin ich ein Mensch, der ein gewisses Maß an Humor und Spaß versteht und auch über sich lachen kann. Das jedoch waren Sachen von einem ganz anderen Kaliber, die nichts mehr mit bloßen Witzen oder Späßen zu tun hatten. Hier ging es darum, dass man versuchte, mir eine Straftat anzuhängen, meinen bisherigen positiven Eindruck bei den ehemaligen Kollegen zu schmälern und mich schlecht vor versammelter Mannschaft da stehen zu lassen. Ich spürte, dass ich auf einmal nicht mehr das nette, brave Mädchen sein konnte. Dass ich meine Grenzen aufziehen musste, mich nicht wie Dreck behandeln lassen durfte. Auch, wenn ich als Azubi ganz unten in der Betriebshierarchie stand, konnte es sein, dass wenn ich jetzt nichts unternahm, dass die nachfolgenden Azubis ebenfalls so behandelt wurden. Und das konnte ich nicht zu lassen. Wenn ich eins als Kind schon immer hatte, dann einen starken Sinn nach Gerechtigkeit. Dieser wollte jetzt geradezu ausgelebt werden. Jedoch zwang ich mich noch zu warten. Als sich die Situation trotzdem nicht besserte, wagte ich den Schritt zur Ausbildungsleitung. Sie fand es gut, dass ich darüber mit ihr sprach, wusste genau, welchen Mitarbeiter ich meinte und wir vereinbarten, dass sie meiner Chefin gegenüber das Problem ansprechen würde und diese dann mit dem Mitarbeiter ein Wort wechseln würde. Es dauerte etwas, bis der Mitarbeiter sein Verhalten mir gegenüber veränderte.
Ich atmete die kühle Luft ein. Ja, es war richtig gewesen, meine Stimme zu erheben und mich für meine Rechte einzusetzen. Dieser Mitarbeiter hatte schließlich Dinge getan, die unter die Kategorie Mobbing fallen. Jedem, der in einer ähnlichen Situation wie ich steckt, und wo Gespräche nicht helfen, würde ich dasselbe raten. Setzt euch für eure Rechte ein, schweigt nicht. Damit helft ihr nicht nur euch selbst, sondern auch anderen und euer Gegenüber hat die Chance zu erkennen, dass er sich falsch verhalten hat.