Dilemma
Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Eva K., 19 Jahre
ich bin auf der Arbeit.
stehe hinter einer Theke
Vollzeit
Schichtdienst
du betrittst den Raum
du und deine Frau
hektisch lässt sie die Blicke schweifen,
unsicher in deiner Gegenwart.
ich kenne dich schon,
du bist öfter hier.
ich weiß, was mich erwartet.
eine dritte Person setzt sich an euren Tisch.
ich stelle Kaffee vor euch
und viel zu laut sagst du
„Danke“ in einem Ton,
der eher nach Befehl klingt,
als nach Wertschätzung.
deine Frau sagt gar nichts mehr.
ich frage mich, wie ihr hinter verschlossenen Türen miteinander umgeht.
ich verlasse euren Tisch, um den daneben aufzuräumen.
du siehst mich ganz genau und ich höre jedes deiner Worte.
du bist mittel alt
du sagst, die Jugend von heute sei nichts mehr
niemand liest mehr
alle googlen
social media statt Briefe
früher war alles besser
als die Männer noch Männer waren
und die Frauen noch Frauen
als Schwarze diskriminiert wurden
und Homosexuelle ignoriert
als Vorurteile schick waren
und Sexismus legal
du hast Angst
denn du merkst, dass die Welt sich ändert
und du kommst nicht mehr mit.
du hast Angst vor der nächsten Generation
denn sie ist mächtiger als du.
du hast Angst weil deine Meinung aussterben wird
und Toleranz sich durchsetzt
weil heute jeder sein darf wie er will,
deshalb verbreitest du Hass.
ich höre jedes einzelne deiner Worte und bin mir sicher, dass du das weißt.
du wirst immer lauter
smartphones führen zur Verblödung
und die jungen Leute wissen doch gar nicht mehr, was Arbeit bedeutet.
diese lachhaften Kinder wollen Freitags nur nicht zur Schule
und dir sei eigentlich ziemlich egal, was „die Greta“ von dir halte.
ich könnte kotzen.
deine Frau guckt dich an, stumm.
ich bin hinten, räume die Spülmaschine ein
und spüre Wut in mir
Tassen scheppern
ich will so nicht sein.
niemals will ich so werden wie du
und ich denke nicht, dass du weisst, wie sehr deine Worte mich verletzt haben.
ich will nicht so denken, wie ich es tue.
in meiner Wut denke ich, dass du in 20 Jahren eh tot bist
und deine Meinung mit dir.
ich denke, dass alles besser werden wird,
wenn wir erst mal im Bundestag sitzen.
vermutlich utopisch.
aber ich will nicht, dass die Wut mich kontrolliert.
ich will nicht so werden wie du.
alles was ich mir wünsche ist doch nur mehr Respekt gegenüber meiner Generation.
es klopft an der offenen Küchentür,
deine Frau steht im Rahmen
sieht mich an, entschuldigend
„Sie sind so fleißig“, sagt sie.
„Hören Sie nicht auf meinen Mann“, sagt sie.
ich lächle ihr zu
währenddessen frage ich mich, warum sie ihm nicht selbst widerspricht,
und kenne die Antwort doch selbst.
ich sagte nichts aus Angst, meinen Job zu riskieren
sie sagte nichts aus Angst, ihre Ehe zu verlieren
ich will nicht stereotypisch denken,
denn ich störe mich daran, wenn Menschen das tun.
und ich will keine doppelten Standards haben,
denn ich störe mich daran, wenn Menschen das tun.
aber manchmal fällt es mir schwer,
mich nicht der Wut hinzugeben,
die manche fälschlicherweise als Feminismus bezeichnen.
die Wut auf alte, weiße Männer.
denn wenn ich das täte, wäre ich nicht besser als die,
gegen die meine Wut sich richtet.
und so will ich nie sein.
Autorin / Autor: Eva K., 19 Jahre