Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Denise Raisp, 15 Jahre
2. Juli
Ich wurde vorgewarnt.
Sie haben gesagt, dass ein neues Mädchen kommt, ich wusste, dass sie in mein Zimmer kommt, weil kein anderes mehr frei war. Sie räumt gerade ihren Schrank ein, wir haben noch kein Wort miteinander gewechselt, ob sie Deutsch kann.
Sie hat Probleme, sonst wäre sie nicht hier. Ich kann nicht erkennen, weswegen sie hier sein könnte. Das einzige was mir an ihr auffällt ist, dass sie dunkle Haut hat, deshalb taufe ich sie auf Schokoladenmädchen.
Das einzige, was uns für die nächsten Wochen trennt, ist eine dünne Holzwand zwischen unseren Betten. Ich liege bei der Tür, sie am vergitterten Fenster und beide gleich nah an Kästen und Tischen. Das ist alles, mehr gibt es in diesen Zimmern nicht.
Wenn sie keine dunkle Haut hätte, hätte ich sie vielleicht schon angesprochen, sie gefragt, warum sie hier ist. Mir gefällt sie nicht, sie ist anders als ich, sie sieht aus wie ein Stück Zartbitterschokolade. Ich mag keine Zartbitterschokolade.
5. Juli
Selbstverständlich hat sie versucht, mit mir zu sprechen, die anderen mögen sie. Die Einzige, von der sie nichts weiß, bin ich. Auf einmal wird mir bewusst, sie und ich könnten Freundinnen sein und nachts, wenn wir nicht einschlafen miteinander sprechen. Sie kann Deutsch. Fließend. Ihre Stimme ist kindlich, aber angenehm.
Ich rede mit den anderen, nicht viel, aber wir sprechen. Ich bin eine Einzelgängerin, Freunde sind wie Fremde für mich. Ich starre sie jedes Mal an, wenn sie das Zimmer betritt. Ihre Haut wird nach wie vor in der Farbe von Zartbitterschokolade bleiben.
Sie ist anders, sie ist ein Mensch. Ich bin auch ein Mensch.
Sie wird anders behandelt, ich wurde anders behandelt. Wir sind gleich im Herzen.
Warum warte ich noch, bevor ich mit ihr rede, im Raum ist sie doch. Warum glaube ich immer noch, dass ich keinen Kontakt mit ihr will, sie ist mir ähnlich. Warum ist mir bewusst, dass sie hier ist, um ihre Probleme zu lösen, genau wie ich, und nicht um neue zu finden. Ein Problem wie mich.
9. Juli
Sie hat heute wieder versucht, das Gespräch zu suchen.
Wir haben miteinander gesprochen. Nun tut sie mir leid, ihr Rucksack ist schwerer als meiner, sie hat mehr durchgemacht, und ich will ihr helfen. Ich habe sie in den Arm genommen, Körperkontakt ist an diesem Ort verboten, es war ein komisches Gefühl, für mich ist Nähe fremd. Sie hat gelächelt, ich glaube wir beginnen uns zu mögen.
In dieser Nacht schlief ich zufrieden ein. Es war schön mit jemanden zu sprechen, der selbst Ahnung vom Leben hatte, ich sah sie nun als Vollmilchschokolade.
Ihre Haut ist zartbitter, ihr Charakter Vollmilch. Ich esse gerne Vollmilchschokolade.
15. Juli
Wir reden viel miteinander. Wir mögen uns.
Ich verbringe Zeit mit ihr und meinen Mitpatienten, ich verstecke mich nicht. Ich habe angefangen zu kämpfen, wenn sie das schafft, dann schaff ich es erst recht.
Die Ärzte sind begeistert. Ich mache Fortschritte. Fortschritte, damit sollte ich meiner Entlassung näherkommen.
16. Juli
Ich hatte Ausgang.
Das Schokoladenmädchen ist meine Freundin geworden. Ich habe beschlossen, dass wir in Kontakt bleiben. Sie ist auch dafür. Ich komme der Freiheit näher.
Ich beginne zu nerven, wann ich nachhause darf. Aber die Ärzte meinen, dass es nicht mehr lange dauern würde. Zuhause bin ich frei, hier herrschen strenge Regeln. Ich bin mir sicher, dass ich bald rauskomme. Irgendwer braucht meinen Platz.
Irgendwer mit anderen Lasten.
Ich erkenne das Schöne im Leben, ich erkenne, dass man Menschen nicht nach dem Äußeren beurteilen kann.
Ihr Charakter ist weiße Schokolade, sie ist mir ähnlich. Ihr Äußeres ist verschieden, das war es schon.
27. Juli
Was soll das heißen? Meine Eltern holen mich in vier Stunden ab.
Der Arzt sagt, dass ich toll mitgemacht habe, dass ich ein schönes Leben führen soll.
Als ich gehe, wird mir bewusst, dass Menschen wunderbar mit Schokolade vergleichbar sind. Ich bin weiß mit Erdbeerfüllung und sie ist zartbitter mit Erdbeerfüllung. Erdbeere, weil das unser Lieblingsobst ist.