Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Karina Hentges, 19 Jahre
Ernsthaftigkeit ist wichtig, oder?
Sich ernsthaft mit einer Sache auseinanderzusetzen.
Sich mal für etwas zu interessieren.
Für sich einzustehen.
Guten Morgen, Welt.
Welt.
Männerwelt, da draußen.
Keine Angst, nichts Berufliches, ich will mich nicht darüber beschweren, dass ich nicht die Chancen habe wie ihr, das kommt nächstes Mal.
Wenn das überhaupt noch so ist, ich habe keine Berufsschwierigkeiten, noch nicht. In der Schule werde ich beim Sport bevorzugt, wenn ich vortäusche, meine Tage zu haben.
Aber jetzt geht es um etwas anderes.
Es ist nicht angenehm, wie deine Augen auf mir ruhen. Ich spüre deinen Blick aus meinem Augenwinkel und verstehe nicht, was dich so an mir fasziniert.
Oder ist das zu gut gedacht?
Du trägst eine Jeans und einen Kapuzenpullover, chillig, ohne viel Schnick-Schnack. Du bist die Sorte Mensch, die in der Masse verschwindet, aber bei näherem Hinsehen doch irgendwie interessant erscheint.
Dein Ellbogen stößt du in die Seite deines Kumpels und zeigst mit einem Kopfnicken und einem lauten Lachen auf mich.
Viel schlimmer als mit der Fingerspitze auf jemanden zu deuten.
Er hat ein ähnliches Outfit an, der gleiche Typus.
Ihr fixiert mich, macht Grimassen, lacht, freut euch. Worüber?
Die Augenbrauen zieht ihr hoch, winkt mir und versucht, meinen Blick zu erhaschen.
Der Dritte im Bunde wird durch eure Aktivitäten auf mich aufmerksam und schaut mich ernst an. Dann flüstert er etwas zwischen euch.
Schenkelklopfer.
Um mich herum stehen, sitzen, schlafen Menschen. In der bekannten Kopfstellung, Augen in Richtung Boden, haftend auf dem Display. Nur ab und so, wenn eine Bahn vorbeifährt und hält, wird geschaut, ob sich die Beine bewegen müssen.
Keiner achtet auf euch, keiner sieht mich. Und erst recht nicht, unsere Verbindung, die von euch ausgeht.
Ich starre weiterhin auf meine Schuhe, sie sind an den vorderen Kanten etwas dreckig. Sie waren mal weiß, mein Freund hat sie mir zum Geburtstag geschenkt. Mir ist nicht anzusehen, dass ich vergeben bin, wie auch, und selbst wenn, das wäre euch egal, stimmt‘s? Oder bin ich zu voreilig und ihr wollt mit euren lasziven Blicken gar nicht darauf hinaus? Etwas mit mir anzufangen,
was überhaupt mit mir anzufangen?
Einfach ignorieren, wie sich eure Blicke auf meiner Haut anfühlen. Ihr schaut doch nur, mehr nicht, ihr fasst mich nicht einmal an, keine Berührung. Nur die Rufe in meine Richtung, als würde ein Messer durch meine Kopfhörer eure Worte in meine Ohren ritzen.
Ihr zeigt mir, wie Männer mich sehen, oder eher Jungs, ihr seid noch Jungs, jung und unerfahren, aber nein, das weiß ich doch gar nicht. Vielleicht seid ihr vergeben, so wie ich, wisst, wie ihr einem Mädchen Gutes tun könnt, Blumen und Pizza oder so, und vielleicht ist das nur ein Hobby von euch. Peinlich, das seid ihr.
Wie gerne würde ich.
Jedes Mal wenn ein Auto an mir vorbeifährt und ich einen Spruch zugeworfen bekomme, ein “Hübsche”, ein Pfeifen, ein hirnrissiger Ausruf von euch, jedes Mal wenn ihr denkt, dass mich so etwas anmacht. Es ist schön, gesagt zu bekommen, dass mein Körper gut aussieht, dass mein Outfit mir schmeichelt, dass ich Hammer aussehe, Danke an all die betrunkenen Kunden in den Bars, auf der Arbeit. Es ist vielleicht auch noch in Ordnung, gesagt zu bekommen, dass ihr mich attraktiv und manchmal sogar sexy findet, meinetwegen, ich kleide mich so, wie ich will. Bestätigung in irgendeiner kranken Form.
Aber gleichzeitig zeigt ihr mir, was ihr wirklich seht, wenn ich da stehe oder mit euch rede oder an euch vorbeigehe. Einen Körper mit einem hübschen Gesicht, langen Haaren, Brüsten und großem Hintern, mittellangen Beinen und einem angenehmen Gang.
Eure Blicke zeigen mir, dass ihr denkt, ihr könnt mich besitzen, mich einschließen und mich euer sein lassen. Aber klar, ihr seid nicht alle so, ich verallgemeinere ja total und was ich mir denke, wenn ich so etwas über euch alle sage, wie arrogant ich doch bin, ich wollte es doch so.
Geschnitten.
Ich weiß, woran ihr denkt, wenn ihr mir in der Fußgängerzone nachschaut. Aber in Wirklichkeit doch nicht, ich kann keine Gedanken lesen, ihr gebt mir nur dieses Gefühl, vielleicht ist das ja gar nicht eure Absicht.
Lasst es nicht eure Motivation sein, aber hört auf mich so fühlen zu lassen.
Wie gerne würde ich einfach.
Ist meine Netzstrumpfhose eine Einladung? Ist es meine Lederjacke, oder mein bauchfreies Top? Meine Absatzschuhe, High Heels, höher als euer Niveau?
Ich trage meinen Style so, wie ich ihn will und ich muss dann damit leben, dass ihr mich begafft, als wäre ich ein exotisches Tier im Zoo? Nur weil ich anders bin, weniger geschminkt, dafür mehr Haut zeige, als die anderen weiblichen Wesen in eurem Umfeld?
Wie gerne würde ich jetzt einfach.
Ich hebe meinen Kopf und starre euch an, ihr hebt eure Augenbrauen und zwinkert mir zu. Aufmerksamkeit bekommen, Ziel erreicht. Ich setze einen Fuß vor den anderen, ich komme auf euch zu. Mein Ziel noch nicht.
Was wollt ihr von mir? Stimmt was nicht?
Lachen.
Lasst mich in Ruhe und kümmert euch um euren Scheiß.
Lachen.
Habt ihr mich verstanden?
Lachen.
Genauso würde es doch ablaufen, wenn ich mich trauen würde. Wenn ich aktiv “Nein” sage und alles, was ankommt nur ein “Hey” in euren Ohren wäre. Eine Bestätigung eures Verhaltens.
Ignorieren.
Ist nicht so leicht, wie es sein sollte.
Ihr macht weiter, ich mach weiter.
Ihr steigt in die Bahn ein, seht durch die Fenster zu mir rüber. Ein letzter Blick, dann seid ihr weg.
Ich bleibe unberührt mit Augen betatscht zurück.