Die Welt der Eiskristalle
Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Clara Kaiser, 15 Jahre
Kälte. Es ist bitterkalt. Obwohl ich hier in meinem Zimmer sitze.
Meine Zähne schlagen klappernd gegeneinander. Sitze hier, sehe nach draußen. Beobachte unbewegt die Eisblumen, die sich an meinen gesprungenen Scheiben bilden und wieder verschwinden. Höre die Äste der kahlen Bäume im Eiswind rascheln. Spüre die Kälte, wie sie sich in meinen steifen Körper hineinfrisst.
Denke an die Welt früher. Früher, als es noch Wärme gab.
Wärme… Wie fühlt sich das an? Wann war mir das letzte Mal richtig warm? Wie lange ist das her?
Ich kann mich nicht erinnern, zu lange her. Das Gefühl ausgelöscht. Jedes Gefühl von damals ausgelöscht. Die Welt war warm, hell, freundlich.
Bevor das Eis kam. Bevor das Eis kam und Millionen erfroren. Einfach erfroren, ihre Körper von Eiskristallen überzogen, ihr Herz für immer zum Stillstand gezwungen. Kein Laut wird je wieder über ihre erstarrten Lippen kommen.
Noch liege ich nicht bei ihnen. Noch sitze ich hier. Doch auch mein Körper verfällt langsam in Starre, auch ich werde sterben. Langsam, qualvoll und unendlich alleine.
Kann es nicht verhindern, will es nicht verhindern. Alles ist fort. Keine Freunde, keine Familie, keine Aufgabe. Nichts! Das Eis hat mir alles genommen.
Es kam schleichend. Kalt. Tödlich.
Ganz langsam fraß es sich mit Todesschönheit an uns heran. Die ersten Meldungen über Erfrorene aus Skandinavien waren uns egal.
„So viele Tote überall auf der Welt, was interessieren uns da ein paar Erfrorene mehr?“, sagten wir.
Ein paar Jahre später sagten wir nichts mehr. Sie konnten es nicht mehr. Und ich wollte nicht mehr.
Seitdem sitze ich hier.
Am Fenster.
Schaue in die erstarrte, vom Eis eroberte Welt.
Und frage mich, wie lange ich noch schauen werde.
Autorin / Autor: Clara Kaiser, 15 Jahre